Bericht zur aktuellen Lage von Menschenrechts-verteidiger*innen 2020- 2023

Der Bericht von Amnesty International zeigt anhand von fünf konkreten Fällen, wie die Gewalt und die Angriffe gegen Menschenrechtsorganisationen zwischen 2020 und 2023 nicht gestoppt werden konnten.

Die kolumbianischen Behörden haben in den vergangenen fünf Jahren nicht genügend unternommen, um Menschenrechtsverteidiger*innen im Land vor Gefahren zu schützen. Dies geht aus einem neuen Bericht von Amnesty International hervor. Amnesty appelliert an die Behörden, dafür zu sorgen, dass Menschenrechtler*innen ihre Arbeit unter angemessenen und sicheren Bedingungen ausüben können.

Sie setzen sich für den Umweltschutz, die indigene Bevölkerung oder Kleinbäuer*innen ein: In Kolumbien machen sich Menschenrechtsverteidiger*innen für die grundlegenden Rechte der Bevölkerung stark. Und dennoch sie sind regelmäßig Gewalt, Drohungen und Angriffen ausgesetzt. Dies geht aus dem neuen Amnesty-Bericht mit dem Titel „Hope at risk: The lack of a safe space to defend human rights in Colombia continues“ hervor.

„Amnesty International hat unzählige Berichte darüber erhalten, dass Menschenrechtsverteidiger*innen in Kolumbien wegen ihrer Arbeit bedroht und angegriffen worden sind“, sagt Ana Piquer, Direktorin für die Region Amerikas bei Amnesty International. „Es ist deutlich zu sehen, dass die Behörden zwischen 2020 und 2023 keine ausreichenden Maßnahmen ergriffen haben, um den kollektiven Schutz von Menschenrechtler*innen sicherzustellen, insbesondere derjenigen, die sich in verschiedenen Landesteilen für Land- und Umweltrechte stark machen. Unsere Recherchen zeigen deutlich auf, dass angesichts dieser verheerenden Situation eine robuste, ganzheitliche und abgestimmte institutionelle Reaktion nötig ist.“

Die zuständige kolumbianische Ombudsstelle (Defensoría del Pueblo) berichtete im Jahr 2023, dass die Anzahl der getöteten Menschenrechtsverteidiger*innen im Zeitraum 2020 – 2023 durchweg hoch war und sukzessive anstieg. Laut Angaben der Organisation Programa Somos Defensores lag die Zahl der getöteten Menschenrechtler*innen im Jahr 2020 bei 199, im Jahr 2021 bei 139, und im Jahr 2022 bei 197. Im September 2023 hatte die zivilgesellschaftliche Organisation INDEPAZ (Instituto de Estudios para el Desarrollo y la Paz) bereits die Tötung von 127 zivilgesellschaftlich und menschenrechtlich engagierten Personen verzeichnet – eine vorläufige, aber nicht minder alarmierende Statistik.

Der Amnesty-Bericht dokumentiert fünf Fälle, in denen Menschenrechtsverteidiger*innen in vier verschiedenen Landesteilen bedroht und angegriffen wurden. Amnesty International setzt sich seit 2020 in drei dieser Fälle ein, und der Bericht zeigt ihren aktuellen Stand auf. Die beiden anderen Fälle werden von Menschenrechtsorganisationen in der Region Magdalena Medio betreut, einer Gegend, die stark von bewaffneter Gewalt betroffen ist und in der die Verteidigung der Menschenrechte ein hohes Risiko darstellt.

Die Umweltschutzorganisation FEDEPESAN (Federación de Pescadores Artesanales, Ambientales y Turísticos de Santander) setzt sich für den Schutz der Gewässer von Magdalena Medio und den Erhalt der Lebensweise der vom Fischfang lebenden Menschen in den Feuchtgebieten um Barrancabermeja ein. FEDEPESAN ist eine Dachorganisation für sieben Fischereiorganisationen und macht sich trotz Drohungen und Angriffen weiterhin für den Schutz der Umwelt stark. Die Vorsitzende der Organisation, Yuly Velásquez, wurde in den vergangenen Jahren mindestens dreimal von bewaffneten Personen angegriffen.

CREDHOS (Corporación Regional para la Defensa de los Derechos Humanos) ist ein Netzwerk von Menschenrechtsverteidiger*innen in Magdalena Medio, das seit Jahrzehnten Drohungen und Angriffen ausgesetzt ist. Seit 1987 engagiert sich CREDHOS für die Menschenrechte in der Region und ist dabei Angriffen ausgesetzt, die im Laufe der Jahre zur Tötung von Mitgliedern der Organisation geführt und einige Mitglieder gezwungen haben, ins Exil zu gehen oder innerhalb Kolumbiens umzuziehen.

Die Organisation ADISPA (Asociación de Desarrollo Integral Sostenible de La Perla Amazónica) verteidigt den Amazonas und die Lebensweise der Kleinbäuer*innen (Campesinos) in Putumayo. Jani Silva und andere Mitglieder von ADISPA wurden in den vergangenen fünf Jahren mehrfach bedroht und angegriffen, vor allem wegen ihres Einsatzes für den Umweltschutz, die Wasserqualität und die Artenvielfalt in der Region.

Die indigene Gemeinde ASEINPOME im Departamento Meta ist seit mehr als 30 Jahren das Ziel von Gewalt, Angriffen und Vertreibung. Dennoch ist die Gemeinschaft auf ihr angestammtes Territorium zurückgekehrt und harrt dort aus. Seit ihrer Rückkehr im Jahr 2015 sieht sich die Gemeinschaft Schikanen und Angriffen ausgesetzt, die offenbar darauf abzielen, sie aus diesem Gebiet zu vertreiben.

Die Organisation CISCA (Comité de Integración Social del Catatumbo) macht sich für die Landrechte der kleinbäuerlichen Gemeinschaften von Catatumbo stark, die Gewalt, Ausgrenzung und Armut ausgesetzt sind. Die kleinbäuerlichen Familien von Catatumbo werden seit jeher gesellschaftlich ausgegrenzt und haben unverhältnismäßig stark unter den Auswirkungen des bewaffneten Konflikts und der erzwungenen Vernichtung von Kokapflanzen zu leiden.

Abgesehen von diesen spezifischen Fällen enthält der Amnesty-Bericht auch eine allgemeine Analyse des kollektiven Schutzes von Landrechtsverteidiger*innen und Umweltschützer*innen in Kolumbien. Amnesty International hat hierzu die letzten zwei Jahre der Regierungszeit von Iván Duque und das erste Amtsjahr des neuen Präsidenten Gustavo Petro unter die Lupe genommen. Am Ende der Präsidentschaft von Iván Duque beharrte die Regierung trotz zahlreicher Warnungen und Empfehlungen von Menschenrechtsorganisationen, Plattformen und internationalen Organisationen – darunter auch Amnesty International – auf der Verabschiedung von Maßnahmen, die dem Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen abträglich waren.

Zudem hielt die Regierung sich nicht an Zusagen aus dem Friedensabkommen von 2016. Die Regierungszeit von Gustavo Petro begann mit Absichtserklärungen, etwas an der Situation zu ändern, sowie der Verabschiedung eines Notfallplans zum Schutz von Menschenrechtler*innen und Bemühungen um mittel- und langfristige Lösungen. Trotz dieses Kurswechsels hat Amnesty International festgestellt, dass es während seiner Amtszeit weiterhin zu Gewalt gegen Menschenrechtsverteidiger*innen gekommen ist. Dies geht sowohl aus den allgemeinen Statistiken als auch aus vielen der im Bericht dokumentierten Fälle hervor.

Um die strukturellen Ursachen der Gewalt gegen Menschenrechtsverteidiger*innen angemessen zu mindern und zu bewältigen, sollten kollektive Schutzmaßnahmen ergriffen werden. Diese müssen zusätzlich zu individuellen Schutzmaßnahmen erfolgen und auf einem intersektionalen Ansatz basieren, der angemessen berücksichtigt, welchen speziellen Gefahren Frauen, indigene Bevölkerungsgrupen, afrokolumbianische und kleinbäuerliche Gemeinschaften, Kinder, LGBTI+, ländliche Gemeinden und andere ausgegrenzte bzw. diskriminierte Gruppen ausgesetzt sind und was sie benötigen. Amnesty International fordert die kolumbianische Regierung auf, gemäß diesem Ansatz weitere Maßnahmen zu verabschieden und somit Menschen, Gruppen und Gemeinschaften, die die Menschenrechte verteidigen, bestmöglich zu schützen.

Der neue Amnesty-Bericht Hope at risk folgt auf den 2020 veröffentlichten Bericht Why do they want to kill us?: Lack of safe space to defend human rights in Colombia und baut auf den damaligen Recherchen zur Lage von Menschenrechtsverteidiger*innen in Kolumbien auf.

Dieser Bericht ist hier zu finden: https://www.amnesty.org/en/documents/amr23/3009/2020/en/ 

Foto: © Amnesty International