Verhandlungen mit FARC: verhaltener Optimismus angesagt

Präsident Santos trat am 27. August ans Rednerpult und seine knapp dreiminütige Sondersendung schlug wie eine Bombe aus heiterem Himmel ein. Er führte aus: MitbürgerInnen! Vom ersten Tag meiner Regierung an bin ich der verfassungsmässigen Verpflichtung nachgekommen, den Frieden zu suchen. In diesem Sinne wurden Sondierungs-Gespräche mit der FARC-Guerilla geführt, um das Ende des Konfliktes zu suchen...

autor: ask/ von Peter Stirnimann

Kolumbien-Monatsbericht

September 2012 / Nr. 8

Präsident Santos trat am 27. August ans Rednerpult und seine knapp dreiminütige Sondersendung schlug wie eine Bombe aus heiterem Himmel ein. Er führte aus: MitbürgerInnen! Vom ersten Tag meiner Regierung an bin ich der verfassungsmässigen Verpflichtung nachgekommen, den Frieden zu suchen. In diesem Sinne wurden Sondierungs-Gespräche mit der FARC-Guerilla geführt, um das Ende des Konfliktes zu suchen … Die KolumbianerInnen können volles Vertrauen haben, dass die Regierung mit Besonnenheit, Seriosität und Standhaftigkeit handeln wird und das Wohl und die Ruhe aller BewohnerInnen unseres Landes voranstellen. Danke!
Die politischen Debatten im Land haben damit neues Futter erhalten. Das Pendel zwischen Krieg und Frieden schlägt nach 50 Jahren bewaffnetem Konflikt mit den Guerillas und den Paramilitärs zur Zeit auf die Seite des Friedens, wie Repräsentativumfragen zeigen. Heute sind etwa Dreiviertel der befragten KolumbianerInnen für politische Verhandlungen des Konflikts. Die Stimmung im Land ist verhalten optimistisch bis skeptisch. Es gibt durchaus Gründe dazu.

Verhaltener Optimismus

Hinter der Ankündigung steht eine 18-monatige, absolut diskrete und professionelle Vorarbeit. Diese wurde von Venezuela, Kuba, Norwegen, Chile und internationalen Experten begleitet. Die Geheimverhandlungen wurden nicht unterbrochen trotz der Ermordung von FARC-Chef Alfonso Cano im vergangenen November durch eine militärische Aktion der Armee. Der Diskussionsprozess scheint eine gewisse Vertrauensbasis zwischen Regierung und FARC ermöglicht zu haben, die in der gemeinsamen Übereinkunft zur Beendigung des Konflikts und den Aufbau eines stabilen und dauerhaften Friedens zum Ausdruck kommt  . Die Regierung ihrerseits anerkennt den bewaffneten Konflikt, der von der Regierung Uribe (2002 und 2010) wider besseres Wissen aberkannt wurde. Für Uribe gab es nur eine vom Terrorismus bedrohte Demokratie und Krieg gegen die Terroristen . Santos pokert hoch mit seinem Friedensplan. Scheitert sein Friedensprozess, ist seine Wiederwahl im 2014 bedroht. Dies beschäftigt ihn nicht sonderlich, wie er in einem Interview sagte: Der Friede ist wichtiger als meine Wiederwahl.

Ebenfalls positiv in Hinsicht auf erfolgreiche Verhandlungen ist die Tatsache, dass sich der Kontext in Kolumbien und Lateinamerika geändert hat. Die FARC haben schwere militärische Schläge vor allem gegen Führungsleute erlitten: Raúl Reyes, Iván Ríos, Jorge Briceño alias Mono Jojoy und der an einem Herzinfarkt gestorbene Manuel Marulanda alias Tirofijo (Mitgründer der FARC). In Lateinamerika (Venezuela, Bolivien, Ecuador) sind linke Politiker durch demokratische Wahlen an die Spitze der jeweiligen Regierungen gekommen. Dies zeigt, dass das bewaffnete Veränderungsmodell der FARC und auch des ELN objektiv nach bald 60 Jahren ein erfolgloses Auslaufmodell darstellt und die stark bedrohten Führungsleute dies langsam zur Kenntnis nehmen (müssen). Inwieweit die militärische Basis der FARC (geschätzte 6-10’000 KämpferInnen) diese Veränderung der Sichtweise mittragen, ist offen.

Ebenso hat bei der Regierung ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Der ehemalige Kriegsminister Santos unter Uribe hat sich zum Friedenspräsidenten gewandelt. Die Gründe dazu liegen einerseits darin, dass auch das Modell der Seguridad Democratica von Uribe ein Auslaufmodell ist. Es stiess militärisch wie ökonomisch an seine Grenzen und brachte nur noch mit kriminellen Horroraktionen wie den Falsos Positivos   gezinkte Resultate. Die Guerillas konnten trotz teilweise spektakulären Schlägen nicht liquidiert werden. Sie stören weiter mit angepassten Taktiken überall im Land und richten Schaden an. Das steht der angestrebten Wirtschaftspolitik im Weg. Hinter dem Paradigmenwechsel der Regierung zeigen sich klare wirtschaftliche Interessen: Santos will Kolumbien weiter gegenüber der Welt wirtschaftlich öffnen und in die höchste Liga Lateinamerikas aufsteigen … unsere Ökonomie ist eine der aufstrebendsten in Lateinamerika, ähnlich wie diejenigen von Argentinien und nur noch übertroffen von Brasilien und Mexiko…heute können wir von Frieden reden, weil Millionen von KolumbianerInnen daran sind, der Armut zu entkommen und weil wir in diese Richtung weiter vorwärts kommen wollen  . Dazu sollen die 5 wirtschaftlichen Lokomotiven führen: Wohnungs- und Hausbau; Ausbau der Verkehrsinfrastruktur; Bergbau; Agroindustrie u.a. mit Agrotreibstoffen; Wissenschaft und Technologie. Ein bewaffneter Konflikt im Land stellt dabei ein grosser Störfaktor dar, der nicht militärisch zu lösen ist, wie die vergangenen Jahre unter Uribe zeigen. Jetzt versucht man es wieder mit politischen Verhandlungen.

Vorgehen und Themen der Verhandlungen

Die Verhandlungen werden Mitte Oktober in Oslo eröffnet und dann in Kuba weitergeführt ohne zeitliche Begrenzung, aber mit klaren Zeitvorgaben für die entsprechenden Schritte. Die Verhandlungen über fünf zentrale Themenkomplexe   laufen mit geschlossenen Mikrophonen und werden begleitet durch Kuba, Venezuela, Chile und Norwegen. Thematische Expertisen können wenn nötig eingeholt werden. Es werden Mechanismen definiert für die Partizipation der BürgerInnen und der Zivilgesellschaft zu den debattierten Punkten. Über den Verlauf des Prozesses und dessen  Fortschritte wird regelmässig in gemeinsamen Bulletins informiert. Die Parteien haben weiter vereinbart, den Prozess auch bei Problemen nicht zu unterbrechen. Ein Waffenstillstand wurde nicht vereinbart, sondern ist Teil der Verhandlungen. Unter diesen vereinbarten Vorgaben….setzen wir uns ohne Wut und Arroganz an den Verhandlungstisch….und wir werden uns nicht von diesem erheben, ohne dass wir das, was wir auf unsere Flagge geschrieben haben, Realität werden zu lassen. Wir haben geschworen zu siegen und wir werden siegen! schloss FARC –Führer Timochenko in seiner traditionell-revolutionären Videoansprache zu den Verhandlungsresultaten, die wohl wesentlich an seine Basis selbst gerichtet war.

Komplexe Verhandlungsthemen

Die im Abkommen definierten Themenkomplexe sind von transzendentaler Bedeutung für einen nachhaltigen Frieden. Ohne Klärung der Land- und Agrarfrage, ohne eine Revision der demokratischen Spielregeln und der Verbannung der Gewalt und Kriminalität aus der Politik, ohne klare Regeln für die Beendigung des bewaffneten Konfliktes und die Aufarbeitung der Kriegsvergangenheit unter Einbezug der Opfer   , sowie ohne eine grundlegende Debatte über die Drogenthematik kann kein nachhaltiger Frieden in Kolumbien aufgebaut werden. Das Positive ist, dass Kolumbien, die Regierung und die FARC heute mit weniger naiver Friedenseuphorie an die Sache gehen, sondern mit mehr Realismus und Skepsis. Dies drückt sich dadurch aus, dass den Konfliktpartnern bewusst ist – so steht es zumindest in ihrer Vereinbarung – dass das Ende des bewaffneten Konflikts eine essentielle Bedingung für den Aufbau eines stabilen und nachhaltigen Friedens darstellt, und nicht schon der Friede selbst ist. Das Friedensbewusstsein ist reifer geworden. Die Friedensarbeit der letzten zehn Jahre inmitten des Krieges – auch unterstützt durch die Schweiz – zeigt langsam Früchte. Das lässt hoffen. Dass dieser nachhaltige und stabile Frieden nach der Lösung des bewaffneten Konfliktes nicht nur zwischen Regierung und Guerilla ausgehandelt werden kann, wird nirgends ausgeführt. Dazu braucht es einen nationalen Dialog der gesamten Gesellschaft, welcher zu einem neuen Sozialpakt führt. Kolumbien steht vor einem langen, mühsamen Marsch und keinem Sonntagsspaziergang.

Die Opposition gegen den Friedensprozess…

… Was wird Kolumbien mit ein paar Banditen verhandeln, die sich mit dem Geld des Drogenhandels bereichert haben? Nein, Freunde, hier existiert ein demokratisches Land, das seine Agenda nicht mit Terroristen verhandeln kann. Ich werde die Schlacht dagegen aufnehmen  … meinte Ex-Präsident Uribe anlässlich eines Kongresses seiner neuen Kampfplattform Puro Centro Democratico. Diese Plattform verbindet die extreme Rechte, Grossgrundbesitzer, Militärs und gewisse Industriellenkreise rund um das Triumvirat Uribe – Londoño- José Obdulio Gaviria. Die Militärs, welche in Kolumbien meist nicht direkt reden, sondern über die Vereinigungen der Offiziere im Ruhestand, haben in einer Pressemitteilung ihre skeptische Position angemeldet  . Sie fordern: drei Vertreter des Militärs an den Verhandlungen, die Demobilisierung und Entwaffnung der FARC und Strafverfahren gegen die Demobilisierten mit möglichen Strafreduktionen entsprechend dem juristischen Rahmen für den Frieden. Die Lektüre ihrer Medieninformation macht die Motive ihrer Intervention klar: sie sind besorgt über den Verlust ihres Besitzstandes und ihrer Privilegien, die ihnen im Kriegseinsatz zustehen. Sie setzen weiter auf die Strategie Krieg, um den Frieden zu gewinnen – Krieg ist eben ihr Geschäft. Ihre Aufforderung, dass die im April 2012 gegründete linkspolitische Marcha Patriotica als politischer Arm der Terroristen liquidiert werden soll solange man nicht zu einem Schlussabkommen für das Ende des bewaffneten Konfliktes gelangt  , lässt Böses erahnen. Die Mitglieder dieser neuen politischen Bewegung werden so Freiwild für die Paramilitärs. Es kann zu einem weiteren politischen Genozid kommen wie in den 80/90er-Jahren, als gegen zwei Tausend ermordete Mitglieder auch Präsidentschaftskandidaten der linken Union Patriotica liquidiert wurden . Die Schärfe des Medien-Textes schreckte gewisse Ex-Militärs auf. Sie kritisierten heftig den Autor Jaime Ruiz Barrera (General i.R.), weswegen der fragliche Satz aus der veröffentlichten Version in ihrem hauseigenen Bulletin nicht mehr erscheint  , wie ihn die Zeitschrift SEMANA veröffentlichte.

…….. und kritische Fragen

Friedens- und Menschenrechtsorganisationen begrüssen grundsätzlich den Beginn und den Abschluss von Friedensverhandlungen. Ihre erste Sorge betrifft den Prozessbeginn ohne Waffenstillstands-Regelung, was zu einer Verschärfung des Konflikts führen kann und vermutlich auch wird, da die Konfliktparteien ihre militärische Macht unterstreichen wollen. Vor allem Friedens-Initiativen aus den Konfliktregionen fordern deshalb regionale humanitäre Dialoge mit den bewaffneten Akteuren zu den Themen: Minen, sexuelle Gewalt gegen Frauen, Rekrutierung von Kindern, Autonomie der Ethnien und Organisationen. Sie fordern, dass das internationale humanitäre Völkerrecht (Genfer Konventionen) von allen Akteuren gegenüber der Zivilbevölkerung garantiert wird. Das Danach nach erfolgreichen Verhandlungen beschäftigt Menschenrechts- und Friedensorganisationen ebenso: wie garantiert der Staat bei einer möglichen Demobilisierung der Guerillas, dass das entstehende Macht- und Gewaltvakuum nicht von anderen (Paramilitärs, Bacrims, Narco-Mafias) aufgefüllt wird und der bewaffnete Konflikt seinen weiteren Lauf nimmt, wie seit bald 60 Jahren.

Ein anderer wichtiger Themenkomplex führt zu heftigen Debatten: die Frage des Verhältnisses zwischen der Notwendigkeit, den Konflikt zu beenden und die Anwendung des Rechts gegenüber Kriegsverbrechen, damit der blutige und grausame Horror der vergangenen Jahre nicht straflos bleibt und die Opfer in ihrem Schicksal nicht alleine gelassen werden, was zu neuen bewaffneten Konflikten führen kann.

Zwei weitere schwierige Themen: die Landfrage und der Drogenanbau und –handel. Das Thema Tierra hat die Regierung Santos seit Amtsantritt auf ihre Flagge geschrieben. Die vergangenen zwei Jahre lassen aber keine überbordende Hoffnung aufkommen: die reaktionären Grossgrundbesitzer kämpfen mit allen legalen und illegalen Mittel, um keinen Millimeter ihres Landbesitzes, auch nicht des geraubten, zurückgeben zu müssen. Die Fälle Las Pavas und El Garzal zeigen die Korruptheit des Justizsystems beispielhaft, wie die ask! detailliert berichtet  . Ohne Reinigungsprozess des Justizapparates ist kaum ein nachhaltiger Friede möglich. Das Drogenthema, obwohl Teil der Verhandlungsagenda, ..kann nicht durch Verhandlungen in Havanna gelöst werden… Die Wurzeln des Problems sind nicht bei uns, sondern in den USA und ihrem Festhalten an der Verbotspolitik…  stellte Antonio Caballero, bekannter Kolumnist fest. Er hofft, dass die Debatten sich auf die Legalisierung fokussieren. Dies wäre grundlegend wichtig, denn weltweit ist der Drogenhandel ein zentraler Motor für bewaffnete Konflikte.

Die Schweiz und der Verhandlungsprozess

Kolumbien ist seit bald 15 Jahren ein Schwerpunktland für Friedens- und Menschenrechtsarbeit der Schweiz auf zivilgesellschaftlicher wie auf diplomatischer Ebene. Das Engagement der Schweiz ist in Kolumbien bekannt und wird sehr geschätzt. Der Beitrag an die Memoria historica war sehr wichtig, um Fälle des paramilitärischen Horrors teilweise unterstützt durch Militärs nach zu zeichnen  . Auch der Guerilla-Horror bedarf einer solchen Aufarbeitung. Das Friedensprogramm SUIPPCOL von Schweizer Hilfswerken sowie Menschenrechts- und Friedensorganisationen (auch der ask!) unterstützt durch den Bund arbeitet seit 2001. Es gehört zu den wenigen Friedensförderungsprojekten der internationalen Gemeinschaft mit einer langjährigen und professionellen Kontinuität. Es hat mit anderen Akteuren der Zivilgesellschaft inmitten des Kriegs dazu beigetragen, dass die Strategie von verhandeltem Frieden auf der politischen Agenda nicht gänzlich verschwand. Es ist zu wünschen, dass diese Kontinuität weitergeführt und in der aktuellen Situation ausgebaut wird. Gewisse politische Kreise in der Schweiz möchten, dass nun nach der In-Kraftsetzung des Freihandelsabkommens mit Kolumbien die Schweiz ihren Schwerpunkt immer mehr auf Wirtschaftsförderung setzt und die Friedens- und Menschenrechtsarbeit abgebaut wird. Dies ist kurzsichtig. Ohne Frieden keine wirtschaftliche Prosperität. Friedensförderung ist ein langfristiges Engagement, aber auch eine gute Investition für zukünftige Wirtschaftsopportunitäten und -projekte solange diese nicht konfliktfördernd sind, was leider oft der Fall ist.
Von Peter Stirnimann

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