Kolumbien-aktuell No. 625 | Juni 2022

Im Newsletter dieses Monates geht es natürlich unter anderem um die Wahlen vom 19. Juni. Das Wahlergebnis mit Gustavo Petro als erstem linkem Präsidenten Kolumbiens ist historisch! Unser Artikel dazu bietet eine erste Einschätzung sowohl der ask! wie auch eines kolumbianischen Experten dazu – vorsichtiger Optimismus ist wohl das Schlagwort. Zudem schauen wir einmal mehr auf den Handel mit kolumbianischem Konfliktgold, einerseits mit einem Artikel über den Verfahrensstand bezüglich des Goldexporteurs CIJ Gutierrez, andererseits in einem Interview mit Carlos Morales von der Sozialbewegung CAHUCOPANA. Ausserdem wurde diesen Monat auch ein weiterer Bericht der kolumbianischen Menschenrechtsorganisationen zu den vier Jahren der Regierung Duque veröffentlicht und natürlich der lang ersehnte Bericht der Wahrheitskommission. Durchaus ein bewegter Monat also.

 ASK!

I. Artikel

Viel Hoffnung auf eine friedlichere und sozial gerechtere Zukunft mit dem Wahlsieg von Gustavo Petro und Francia Márquez

Nach einer enormen Angstkampagne und dem Verdacht auf Wahlbetrug haben Gustavo Petro und Francia Márquez die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen doch erstaunlich deutlich gewonnen. Zuvor war die Stimmung „Alle gegen Petro“, der Kolumbiens Wirtschaft und Demokratie zerstören will. Plötzlich war der für viele unwählbare Tik Tok Opa Rodolfo Hernández eine Option, um den noch schlimmeren Petro zu verhindern. Doch noch-Präsident Duque und der unterlegene Kandidat Hernández haben erstaunlich schnell den Wahlsieg von Petro/Márquez anerkannt und es blieb relativ ruhig, es kam nicht zu den befürchteten Unruhen oder zum Einschreiten der staatlichen Sicherheitskräfte. Die Anhänger und Unterstützer feierten den hart erkämpften Wahlsieg Petros ausgelassen. Dieser Wahlsieg soll eine Zeitenwende markieren, endlich ist die Linke zum ersten Mal in der Geschichte an der Macht!

(Von Stephan Suhner und Carla Ruta)

https://www.askonline.ch/themen/frieden/viel-hoffnung-auf-eine-friedlichere-und-sozial-gerechtere-zukunft-mit-dem-wahlsieg-von-gustavo-petro-und-francia-marquez

 

Ohne eine Regierung mit dem politischen Willen, die Ursachen der Gewalt anzugehen, werden wir nie in Ruhe leben können

Carlos Morales war Ende Mai auf Einladung von PBI Schweiz in Bern. Mitarbeiter der ask!-Fachstelle besuchten 2014 in Begleitung von Carlos verschiedene Goldminen in den Gemeinden Remedios und Segovia. Wir nutzten seinen Besuch in Bern, um mit ihm über Massnahmen zum Selbstschutz, über kollektive Widergutmachung und über Goldbergbau zu reden.

(Von Stephan Suhner)

https://www.askonline.ch/allgemein/ohne-eine-regierung-mit-dem-politischen-willen-die-ursachen-der-gewalt-anzugehen-werden-wir-nie-in-ruhe-leben-koennen

 

Musterprozess gegen ehemals grössten kolumbianischen Goldexporteuer wegen Geldwäsche und Terrorfinanzierung vor Gericht gescheitert

Nach mehrjährigen Untersuchungen hatte die kolumbianische Generalstaatsanwaltschaft alles bereit, um gegen den Geschäftsführer der Goldexportfirma CIJ Gutiérrez, gegen mehrere Angestellte und gegen Lieferanten Anklage wegen Geldwäsche und Finanzierung von illegalen Strukturen zu erheben. Die Richterin Claudia Patricia Vázquez befand jedoch am 28. Oktober 2020, dass die Staatsanwaltschaft in den Einvernahmen die gesetzlichen Vorgaben nicht erfüllte, da sie die juristisch relevanten Tatbestände, die sie den  beschuldigten Personen vorwarf, zu wenig klar und genau darlegte. Somit fiel der angestrebte Prozess in sich zusammen und die Beschuldigten kamen frei. Noch immer ist unklar, ob nun ein neuer Prozess zustande kommt oder nicht. (Von Stephan Suhner)

https://www.askonline.ch/themen/wirtschaft-menschenrechte/musterprozess-gegen-ehemals-groessten-kolumbianischen-goldexporteuer-wegen-geldwaesche-und-terrorfinanzierung-vor-gericht-gescheitert%ef%bf%bc

 

II.  Apropos

 

Auswirkungen des Krieges in der Ukraine:

Laut Schätzungen und Analysen der CEPAL (Wirtschaftskommission Lateinamerikas und der Karibikregion) hat der Krieg in der Ukraine bereits jetzt Auswirkungen auch in Lateinamerika und somit auch in Kolumbien. Einerseits steigen die Benzinpreise, aber auch die Preise für Grundnahrungsmittel wie Getreide steigen. Ausserdem steigt die Inflation, die in Lateinamerika im März 2022 7.5% betrug und wohl für den Rest des Jahres hoch bleibt. Für Kolumbien prognostiziert die CEPAL zudem, dass die Armutsrate besonders stark ansteigen wird, von 36.3% auf fast 40%. Als Gegenpunkt halten Experten allerdings auch fest, dass Kolumbien und Lateinamerika als Rohstoffexporteur durch die Krise in der Ukraine plötzlich umso mehr ins Blickfeld von internationalen Investoren gerückt sind. Obwohl Ökonomen dies als positive Auswirkung betrachten, birgt dieser Punkt aus Sicht der Menschenrechte hohes Konfliktpotenzial, wie die ask! besonders in Bezug auf Kohle immer wieder berichtet.

https://news.un.org/es/story/2022/04/1507802

https://www.larepublica.co/globoeconomia/colombia-el-pais-en-donde-mas-aumentarian-los-niveles-de-pobreza-durante-este-ano-3378484

 

Das Geschäft mit der Repression:

Zwischen 2017 bis 2021 wurden mindestens 187 Personen in Lateinamerika bei Demonstrationen durch so genannte nicht tödliche Waffen der Polizei schwer verletzt oder kamen sogar ums Leben. Zu diesem Schluss kommt ein Rechercheteam des Latainamerikanischen Zentrums für Journalismusforschung (CLIP). Zu diesen nicht tödlichen Waffen zählen unter anderem Tränengas-Kartuschen, Gummigeschosse, Rauchbomben und Schockgranaten. Die Ergebnisse des Rechercheprojekts zeigen, dass das Geschäft mit der Repression in den letzten Jahren zugenommen hat, massiv von Korruption geprägt ist und die Menschenrechte der Bevölkerung massiv verletzt. Gerade auch in Kolumbien war das Thema der nicht tödlichen Waffen, die eben doch tödlich sein können, in den letzten Jahren der Proteste ein heisses Thema. Und auch in anderen südamerikanischen Ländern wie Chile, Bolivien oder aktuelle gerade Ecuador gab und gibt es massive Proteste, die meist gewaltsam niedergeschlagen wurden. Dazu geben die Regierungen Beträge in Millionenhöhe aus, wie diese Recherche zeigt.

https://el-negocio-de-la-represion.elclip.org/editorial-negocio-represion-armas-protestas-latinoamerica.html

https://www.blickpunkt-lateinamerika.de/artikel/rechercheprojekt-deckt-korrupte-millionen-geschaefte-mit-waffen-auf/

 

NGO Menschrechtsbericht zu vier Jahren Regierung Duque:

Am 14.06.2022 veröffentlichten die drei kolumbianischen Plattformen von Menschenrechtsorganisationen – Democracia y Desarrollo (PCDHDD), Coordinación Colombia Europa Estados Unidos (CCEEU) und Alianza de Organizaciones Sociales y Afines (Alianza) –  in Bogotá einen Bericht zur Menschrechtsbilanz der Regierung von Ivan Duque Márquez. Der Bericht mit dem Titel «Hunger und Krieg» macht eine verheerende Bestandsaufnahme der vier Jahre dieser Regierung und zeigt zahlreiche Rückschritte aus einer Menschenrechtsperspektive. Sieben Themenbereiche werden im Bericht erwähnt: Die humanitäre Krise und Konflikt, Armut und Verletzung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte, «Unfähigkeit» der Regierung, Korruption und Gewalt, die Nicht-Umsetzung und Verletzungen des Friedensabkommens, die Herausforderungen der sozialen Bewegungen und die internationale Politik der Regierung Duque. Es wird zum Beispiel aufgezeigt, wie die Regierung von Ivan Duque mit wirtschaftlichen Vorteilen für ausländische Firmen und Interessen sich die Nachsicht anderer Staaten für das nicht-umsetzen des Friedenabkommens und für Menschrechtsverletzungen «erkauft» haben soll. Auch wird auf die Repression der sozialen Proteste eingegangen und auf die Konsequenzen der Covid-19 Pandemie, während dieser die Regierung ungenügende wirtschaftliche und soziale Massnahmen getroffen hat, um der Bevölkerung, die in wirtschaftliche Not geriet, zu helfen. Der Bericht endet mit einem offenen Brief an die Präsidentschaftskandidaten.

Bericht: El-legado-del-aprendiz-web.pdf (informesderechoshumanos.com)

Video de expectativa: https://twitter.com/PlataformaDesc/status/1534295050213109763?s=20&t=ZSr7m9Elf1OIpeH1WdELzg

Hambre y guerra: El legado del aprendiz – Balance del último año del gobierno de Iván Duque Márquez – Semillas

 

Veröffentlichung des Abschlussberichtes der Wahrheitskommission (CEV):

Nach fast vier Jahren intensiver Arbeit in Kolumbien und in 23 Ländern wurde am 28.06.2022 der Abschlussbericht der Wahrheitskommission in Bogotá veröffentlicht. Der Bericht dieser Kommission, die vom 2016 Friedensabkommen mit der FARC-EP geschaffen wurde, ist ein wichtiger Schritt zur Aufdeckung der Geschehnisse, die den über 60-jährigen bewaffneten Konflikt geprägt haben. Der Abschlussbericht enthält nicht nur die Ergebnisse der Befragung von 27’000 Menschen, darunter viele Opfer des Konflikts aber auch Täter der verschiedenen bewaffneten Akteure, sondern zeigt auch das ganze Ausmaß und Konsequenzen dieses Konfliktes. Laut dem Bericht wurden zwischen 1985 und 2016 450’664 Tötungsdelikte gemeldet. Zudem waren 80% der Opfer unbewaffnete Zivilpersonen. Der Abschlussbericht enthält auch Zahlen zu Entführungen, Vertreibungen und gewaltsamem Verschwindenlassen, wobei 2002 das Jahr mit der höchsten Zahl dieser Verbrechen war.

Kolumbianerinnen und Kolumbianer im Exil wurden auch interviewt. Auch in der Schweiz wurden Zeugenaussagen von Opfern und Überlebenden, Zeug*innen und Täter*innen gesammelt. Der Bericht enthält zudem Empfehlungen zur Nicht-Wiederholung des Konfliktes und zur Versöhnung. Drei Kommissionsmitglieder werden am 14. und 15. Juli 2022 in Genf sein und ihren Bericht an der UNO und an einem öffentlichen Anlass vorstellen.

https://web.comisiondelaverdad.co/actualidad/noticias/la-comision-verdad-presenta-a-colombia-y-al-mundo-su-informe-final

https://us3.campaign-archive.com/?e=__test_email__&u=945ce708b14e4af56f283823d&id=1fdba51027

“Ich hoffe, dass der Bericht der Wahrheitskommission nicht zu sehr angegriffen wird“, sagte Eric Mayoraz, der neue Schweizer Botschafter in Kolumbien, in einem Artikel im El Espectador. Er spricht in diesem Beitrag über den aktuellen Stand der Umsetzung des Friedensabkommens und über den Abschlussbericht der Wahrheitskommission. https://www.elespectador.com/colombia-20/paz-y-memoria/embajador-de-suiza-habla-del-informe-de-la-comision-de-la-verdad-y-el-acuerdo-de-paz/

 

III.  Tipps und Hinweise

 

Online-Veranstaltung zu Übergangsjustiz:

  1. Juli 2022, 16:00-17:30 Uhr, online

In der Zeit nach dem Kalten Krieg ist die Bereitschaft gewachsen, Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen nach Zeiten gewaltsamer Konflikte oder autoritärer Herrschaft aufzuarbeiten. Mechanismen der Übergangsjustiz wie Wahrheitskommissionen, Straftribunale und Wiedergutmachungsprogramme sind daher zu entscheidenden Elementen von Demokratisierungs- und Friedenskonsolidierungsprozessen geworden. Angesichts des Krieges in der Ukraine und einer wieder aufkommenden Polarisierung des internationalen Systems stehen kooperative und inklusive Ansätze für Frieden und Gerechtigkeit vor zusätzlichen Herausforderungen. Bei dieser Veranstaltung mit Beispielen aus Kolumbien, Mali, Syrien und Irak geht es um Fragen, was in der Vergangenheit bereits erreicht wurde und was daraus für die Zukunft gelernt werden kann.

Dies ist eine Veranstaltung des ‘Global Learning Hub for Transitional Justice and Reconciliation’. Die Veranstaltung findet auf Englisch statt.

Anmeldung unter: https://berghof-foundation.org/news/event-transitional-justice-future

 

 IV.  Lesenswerte Artikel

      Abholzung im Amazonas:

https://www.npla.de/thema/umwelt-wirtschaft/weitere-zwei-millionen-hektar-wald-zerstoert/?utm_source=mailpoet&utm_medium=email&utm_campaign=npla-newsletter-vom-date-d-date-mtext-date-y_1

      Interview mit Lucía González über den Endbericht der Wahrheitskommission: https://www.npla.de/thema/memoria-justicia/informe-final-de-la-comisi%20on-de-la-verdad-entrevista-con-lucia-gonzalez/?utm_source=mailpoet&utm_medium=email&utm_campaign=npla-newsletter-vom-date-d-date-mtext-date-y_1

      Kaffeeanbau von Nestlé in Mexiko als Fluchtursache: https://multiwatch.ch/fluchtursache_nestle/

      Podcast zum Thema „Leben statt Kohle“ (Sp/D): https://www.latinotopia.net/novedades/campana-vida-en-vez-de-carbon/

      Die neue Vize-Präsidentin: https://www.npla.de/thema/tagespolitik/francia-marquez-von-der-umweltaktivistin-zur-vizepraesidentin/?utm_source=mailpoet&utm_medium=email&utm_campaign=npla-newsletter-vom-date-d-date-mtext-date-y_1

 Redaktion: Lisa Alvarado