Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien -Ask!
Kolumbien-aktuell N° 624 MAi 2022
I. Artikel
Abholzung in Kolumbien – Gefängnis für Kleinbauern und freie Hand für Grossgrundbesitzer
Die Plattform Verdadabierta hat einen langen Artikel zum Thema Abholzung in den Regenwaldgebieten Kolumbiens veröffentlicht. Er zeigt auf, wie immer wieder die schwächsten Akteure bestraft werden, während die wirklich grossen Verursacher ohne Behelligung Wald abholzen. Obwohl es laut Gesetz tatsächlich seine Aufgabe wäre, schützt das Militär die Umwelt genau so wenig wie die Kleinbäuer*innen, die seit Jahrzehnten stigmatisiert und verfolgt werden. Einmal mehr scheitert die Regierung in ihrem Versuch, Probleme militärisch zu lösen.
(Von Lisa Alvarado)
Es geht in die zweite Runde
Gustavo Petro und Rodolfo Hernandez kommen in die zweite Runde. Das ist mal eine Überraschung! Nicht unbedingt Petro, der fast als gesicherter Kandidat für die zweite Runde galt, aber Rodolfo Hernandez, ehemaliger Bürgermeister von Bucaramanga, der nach den Wahlen im März nicht mal in die Umfragen aufgenommen wurde und erst in den letzten Tagen überhaupt in den Prognosen auftauchte. Die allermeisten Voraussagen hielten ‘Fico’ Gutierrez oder dann Sergio Fajardo für Kandidaten, die es in die zweite Runde schaffen könnten.
(Von Lisa Alvarado)
https://www.askonline.ch/themen/wirtschaft-menschenrechte/es-geht-in-die-zweite-runde
Einen humanitären Runden Tisch im Chocó, eine neue Hoffnung?
Seit Jahresbeginn hat die bewaffnete Gewalt im Department Chocó wieder besorgniserregend zugenommen. Nach mehrjährigen Forderungen der Zivilgesellschaft nach einem humanitären Abkommen zwischen den bewaffneten Akteuren zum Schutz der Zivilbevölkerung wurde nun im April ein humanitärer Runder Tisch errichtet. Dieser stellt eine sehr grosse Hoffnung in diesem Department – eines der ärmsten Kolumbiens – dar, nicht nur für ein Reduzieren der Gewalt, aber auch für eine Versöhnung, nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung und soziale Gerechtigkeit.
(Von Carla Ruta)
II. Apropos
Gerichtsfall gegen Uribe geht weiter:
Bereits 2012 wurden Ermittlungen gegen Ex-Präsident Alvaro Uribe aufgenommen. Damals hatte ihn der linksgerichtete Senator Ivan Cepeda in einer Parlamentsdebatte beschuldigt, eine paramilitärische Gruppe gegründet zu haben und Verbindungen zum Drogenhandel zu pflegen. Darauf zeigte Uribe Cepeda an mit der Begründung, er habe Zeugen bestochen. Der Spiess wurde dann allerdings schnell umgedreht, als das Oberste Gericht entschied, dass stattdessen Uribe Zeugen bestochen habe und Ermittlungen gegen ihn eröffneten. So gingen Anschuldigungen und Verzögerungen über die Jahre hin und her bis jetzt im Mai eine Richterin des Obersten Gerichtshofs das vorhandene Beweismaterial als gültig erklärte. Für die Entscheidung waren besonders vom Gericht angeordnete Telefonüberwachungen zwischen Uribe und seinem Anwalt wichtig. Dies bezeichnet Uribe’s Verteidigung als illegal. Allerdings ergaben sich einige Unklarheiten bei Aussagen von den für Uribe aussagenden verurteilten Ex-Paramilitär sowie auch bei seinem Anwalt, der beispielsweise ein Treffen mit dem Gefängnisdirektor abstritt, um dann später zu sagen, dass er es vergessen habe. Überraschenderweise legte der Staatsanwalt Jaimes, der Uribe verteidigt, keine Berufung gegen die neuste Entscheidung der Richterin des Obersten Gerichtshofes ein. Das heisst, dass der Prozess gegen Uribe nun fortgesetzt wird und ihm bei einer Verurteilung bis zu zwölf Jahre Gefängnis drohen.
Bewaffneter Streik des Golfclans:
Anfang Mai führte der Golfclan (AGC), die grösste paramilitärische Gruppe Kolumbiens, einen bewaffneten Streik durch, angeblich aufgrund der Auslieferung ihres Anführers ‘Otoniel’ in die USA. Solche bewaffneten Streiks bestehen meist aus Wegblockaden. So wurden auch diesmal zuerst in den Departementen Cesar und Sucre, und dann aber auch in Antioquia ungefähr 200 Busse und Autos verbrannt und allgemein der Transitverkehr behindert. Es gab ausserdem 24 Todesfälle (laut der JEP, das Verteidigungsministerium meldete bloss sechs). Die Regierung reagierte mit verstärkten Sicherheitsmassnahmen, sprich mehr Militär und Polizei auf den Strassen, die allerdings keine Verbesserung der Situation brachte. Bestimmte Quellen wiesen sogar darauf hin, dass Sicherheitskräfte sich teilweise sogar zurückhielten. Experten schätzen den Streik nicht bloss als Politikum gegen die Auslieferung ihres Chefs, sondern auch als strategisch im Blick auf die Wahlen und in Hinsicht auf den Drogenhandel ein.
https://www.elespectador.com/judicial/clan-del-golfo-que-hubo-detras-del-paro-armado/
Suspendierung des Bürgermeisters von Medellin:
Am 13. Mai wurde Daniel Quintero, Bürgermeister von Medellin, vorübergehend von seinem Amt suspendiert, da die Staatsanwaltschaft ein Video, das er auf Twitter gepostet hatte, als Anspielung auf die Kampagne von Gustavo Petro gewertet hatte und ihn deshalb zusammen mit drei weiteren Beamten aufgrund wiederholter Beteiligung an politischen Aktivitäten und Debatten suspendiert hatte. Dass gleichzeitig der oberste Militär öffentlich auf Twitter gegen Petro geweibelt hatte, war für die Staatsanwaltschaft jedoch offenbar aber nicht Grund genug, auch ihn zu suspendieren. Generalstaatsanwältin ist Margarita Cabello, ehemalige Justizministerin des jetzigen Präsidenten Ivan Duque. Anstelle von Quintero wurde das Amt dem Hochkommissar für Frieden Juan Camilo Restrepo Gómez übergeben, der kein Vertreter der Partei ist, die die Wahlen in Medellín gewonnen hatte, sondern der Regierung untersteht. Die Suspendierung von Quintero löste grosse Proteste in Medellín aus und Quintero selbst bezeichnete den Akt als Schritt Richtung Diktatur, da nämlich bereits Gustavo Petro seinerseits von der Staatsanwaltschaft seines Amtes als Bürgermeister von Bogotá enthoben wurde, worauf der interamerikanische Menschenrechtsgerichtshof Kolumbien 2020 verurteilt und angeordnet hatte, seine Gesetze über Sanktionen gegen gewählte Beamte anzupassen.
Wahlbeobachter an der Einreise gehindert:
Mehrere Wahlbeobachtungskommissionen aus dem Ausland wurden erwartet für das Wahlwochenende. Allerdings wurde beispielsweise Teri Mattson, eine US-amerikanische Wahlbeobachterin der Organisation Codepink, von der Einwanderungsbehörde zurückgewiesen und durfte nicht einreisen mit der Begründung, dass sie ein Risiko für die Sicherheit des Landes darstelle. Sie war bereits vor einem Jahr in Kolumbien, um die staatliche Gewalt im Rahmen der landesweiten Proteste zu untersuchen. Auch ein argentinischer Wahlbeobachter, der vom nationalen Wahlrat (CNE) persönlich eingeladen wurde, wurde beim Einsteigen ins Flugzeug zurückgewiesen. Dass Wahlbeobachter ausgewiesen oder behindert werden, ist in Kolumbien nichts Neues. In einem offenen Brief teilten Parlamentarier*innen aus 20 Ländern ihre Sorge darüber mit, dass die Unregelmässigkeiten im Wahlprozess nicht eskalieren sollen. Auch Andrej Hunko, Mitglied des deutschen Bundestags, prangert die grosse Gewalt während des Wahlkampfs und die Unregelmässigkeiten in der Wahlbeobachtung an.
https://amerika21.de/2022/05/258206/kolumbien-wahlbeobachtung?pk_campaign=newsletter&pk_kwd=daily
https://www.contagioradio.com/observadores-internacionales-2/
Angriff auf Luz Angela, Umweltaktivistin aus Provincial:
Am Samstag, 21. Mai 2022 um ca. 20.30 Uhr gaben mehrere bewaffnete Männer Schüsse auf das Haus von Luz Angela Uriana ab. Zu jenem Zeitpunkt befand sich Luz Angela zusammen mit ihren minderjährigen Kindern und ihrem Ehemann im Haus. Luz Angela ist eine der Klägerinnen der Grundrechtsklage, die vom Verfassungsgericht behandelt wurde. Es geht um die Umweltauswirkungen der Kohlemine El Cerrejón auf die Gesundheit der Bewohner von Provincial, v.a. der Kinder. Ebenso wurde bekannt, das eine Wayuu-Familie aus Uribia in die Departementshauptstadt Riohacha flüchten musste, nachdem Sie wegen dem Widerstand gegen Windparks Todesdrohungen erhielt. Im Hotel, wo sie zuerst unterkamen, erhielt der Besitzer eine Todesdrohung gegen die Familie ausgehändigt. Die Behörden haben bisher keine Schutzmassnahmen ergriffen.
III. Tipps und Hinweise
Defendemos Podcast
Protección Internacional Colombia (PI) und VerdadAbierta haben bereits die zweite Staffel einer Podcastsendung mit Stimmen von sozialen Führungspersonen und Menschenrechtsverteidiger*innen gestartet. Es geht dabei unter anderem um Träume von Frauen und Mädchen, das Recht auf politische Teilnahme und Klimaschutz. Die Folgen sind auf Spotify unter ‘Defendemos’ und auf der Webseite von PI zu finden:
https://www.protectioninternational.org/es/noticias/segunda-temporada-de-defendemos-podcast
Struktureller Rassismus in Kolumbien: Ein Video
Im vierten Kapitel von #Vox Populi sprechen Leyner Palacios und Estela Simacas über strukturellen Rassismus in Kolumbien im Rahmen einer Veranstaltung der CEV und dem CAPAZ Institut.
https://www.youtube.com/watch?v=Dq80x0FS8lY
Berner Bürogemeinschaft sucht neue Mitmietende
Wo? Schwanengasse 9 in 3011 Bern
Wann? Ab Mitte August 2022
Was? Ein sonniges Büro im 4. Stock (mit Lift), 18,30m2
Kosten? 790 CHF/Monat (inkl. Anteil monatl. NK) Im Mietzins inbegriffen ist die Benutzung von Küche und Sitzungszimmer (Platz für 10 Personen). Die Mietzinskaution des Vormieters muss übernommen werden (rund 1300.— Franken, Depot bei der BEKB). Zusätzlich anfallende Kosten teilen wir unter uns jeweils gleichwertig auf: Strom, Internet, wöchentliche Reinigung (Fr. 60.–/Monat), Anteil Kollektiv- Haftpflichtversicherung (300.—pro Jahr) und weitere Kosten des Büroalltags (Kaffee und Zubehör, kleinere Anschaffungen, Reinigungsmittel etc.)
Interessiert? Dann melde Dich für mehr Informationen und einen Termin für eine unverbindliche Besichtigung bei:
Stiftung Zukunft Fahrende Schweiz, Simon Röthlisberger, Telefon 031 552 13 10, simon.roethlisberger@stiftung-fahrende.ch
Solidarité sans frontières, David Wolf, Telefon 031 311 07 70, sekretariat@sosf.ch
IV. Lesenswerte Artikel
- Migration im Darién-Dschungel: https://www.nzz.ch/international/darien-dschungel-toedliche-falle-fuer-migranten-in-panama-ld.1673832?reduced=true
- Interview mit Menschenrechtsverteidigerin aus dem Putumayo über aktuelle politische Geschehnisse: https://amerika21.de/analyse/257989/kolumbien-netzwerk-putumayo?pk_campaign=newsletter&pk_kwd=weekly
- Die Geschichte des ETCR in Remedios, Antioquia: http://www.ipc.org.co/agenciadeprensa/index.php/paz/para-tener-proyectos-productivos-y-vivienda-los-excombatientes-de-carrizal-tendran-que-desplazarse/
- Vergeben und Wiedereingliederung: http://www.ipc.org.co/agenciadeprensa/index.php/paz/karina-quedo-en-el-monte/
- Friedenssitze einen sich zu einer ‘Friedensfront’: https://www.contagioradio.com/circunscripciones-especiales-de-paz-bancada/
- Kolumbiens Geschichte der Gewalt: https://taz.de/Kolumbiens-Geschichte-der-Gewalt/!5853596/
- Vorschläge zur Verbesserung der Justiz in Kolumbien: https://www.contagioradio.com/propuestas-democraticas/
- Militärangehörige anerkennen Kriegsverbrechen im Catatumbo: https://amerika21.de/2022/05/257847/kolumbien-falsos-positivos-jep
- Struktureller Rassismus: https://www.elespectador.com/colombia-20/analistas/el-racismo-en-colombia-un-tema-que-se-espera-en-el-informe-final-de-la-comision-de-la-verdad/
- Die Sicht der Niemande: https://latinta.com.ar/2022/05/colombia-rebelion/