Kolumbien-aktuell No. 617 | September 2021

Diesen Monat sind es fünf Jahre seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens zwischen der kolumbianischen Regierung und der FARC. Gleichzeitig ziehen die kolumbianischen Menschenrechtsplattformen wiederum eine Jahresbilanz der Regierung Duque – wie zu erwarten keine positive. Obwohl wegen der Repression der Bevölkerung massive internationale Kritik an der kolumbianischen Regierung geübt wurde, scheint es nicht genug gewesen zu sein, um wirkliche Veränderungen zu bewirken. Umso wichtiger bleibt es, dass wir uns gemeinsam hier in der Schweiz dafür engagieren, dass die kolumbianische Zivilbevölkerung auch bei uns eine Stimme erhält. Diesen und die nächsten Monate informiert die ask! an verschiedenen Veranstaltungen, mit Artikeln und auf Facebook über die Fortschritte und Rückschritte des Friedensabkommens und aktuelle Geschehnisse.

 ASK!

I.  Artikel

 Politische Teilnahme – der Schlüssel zum Frieden?

Im Rahmen der Informationskampagne der ask! zum fünfjährigen Jubiläum seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens zwischen der kolumbianischen Regierung und der FARC-Guerilla stellen wir die Frage, wo denn die Umsetzung des Friedensabkommens jetzt in der Halbzeit steht. Was wurde bisher realisiert, was nicht und können wir wissen, weshalb? Diesen Monat geht es um den Punkt 2, die politische Teilnahme.

(Von Lisa Alvarado)

https://www.askonline.ch/themen/frieden/politische-teilnahme-der-schluessel-zum-frieden

II.  Apropos

 Anklage gegen Mario Montoya fallengelassen:

Das Oberste Gericht von Bogotá hat die Anhörung der Anklage gegen den ehemaligen General Mario Montoya Uribe abgelehnt. Ihm werden von der Staatsanwaltschaft 104 der zwischen 2002 und 2008 begangenen aussergerichtlichen Hinrichtungen (falsos positivos) angerechnet, die er während seiner Zeit als Kommandant der Armee angeordnet haben soll. Der beauftragte Richter des Obergerichts hat die Anhörung mit der Begründung abgelehnt, dass nicht die Staatsanwaltschaft sondern die Sonderjustiz für den Frieden (JEP) für diese Anklage zuständig sei. Montoya hat sich nämlich 2018 für eine Aufnahme in die JEP beworben und diese ermittelt nun auch gegen ihn. Für die Kläger*innen ist dies eine harte Enttäuschung, da Montoya bisher nicht durch die JEP belangt wurde und der erste (Ex-)General gewesen wäre, der im Zusammenhang mit den «falsos positivos» verurteilt worden wäre. Die Familien der Opfer fordern schon länger, dass Montoya und andere ehemalige Generäle von der JEP ausgenommen werden, da sie ihrer Meinung nach nicht zur Wahrheitsfindung beitragen, sonden im Gegenteil den Prozess torpedieren würden. Es besteht noch die Möglichkeit, dass der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag (IstGH) sich bald einschaltet und die Rechtsprechung über diese Verbrechen übernimmt, falls die kolumbianische Justiz den Fall nicht zufriedenstellend abschliessen kann.

https://amerika21.de/2021/09/253764/kolumbien-keine-anklage-gegen-ex-general?pk_campaign=newsletter&pk_kwd=daily

Scharfe Kritik am ‘Krisenmanagement’ der Regierung:

Letzten Monat hatten wir in einem Artikel von den internationalen Missionen nach Kolumbien berichtet, die aufgrund der Repression der Proteste nach Kolumbien gereist sind. Wir hatten bereits festgehalten, dass die kolumbianische Regierung die Beobachtungen und Empfehlungen der CIDH, Amnesty International und der SOS Mission Colombia schleunigst entwertet und in den Wind geschlagen hat. In der aktuellen Sonderausgabe des ila-Magazins berichtet Clemencia Correa, Delegationsteilnehmerin und Direktorin der mexikanischen NGO Aluna über ihre Erfahrungen vor Ort. Das Interview beweist mit konkreten Beispielen und Anekdoten, wie die Mission in elf verschiedenen Regionen und Städten konstant schlimme Menschenrechtsverletzungen dokumentiert und gleichzeitig die Diffamierung der Proteste durch Massenmedien wie Caracol Radio oder RCN beobachtet hat. Correa spricht von einer Terrorstrategie, mit der die meist jungen Demonstrant*innen von einer elitären Regierung daran erinnert wurden, dass sie in dieser Gesellschaft nichts zu sagen haben. Sie nennt dabei unter anderem das wahllose Verprügeln von Jugendlichen, egal ob sie protestierten oder nicht, der Einsatz von unerlaubter Munition (Nägel oder Murmelgeschosse, die den Körper infizieren oder innere Organe zerstören), oder die Hubschrauber, die Demonstrant*innen mit Infrarotstrahlen als Zielscheibe für Scharfschützen markieren. Es ist das erste Mal, dass sich Jugendliche der unteren Schichten in derartiger Masse auf die Strasse bewegen. Wie sie selber sagen aus der fatalen Situation heraus, dass sie nichts mehr zu verlieren haben. Die Kraft der Proteste scheint den traditionellen Eliten Angst um ihre Machtposition zu machen, was laut Correa dazu führt, dass sie umso aggressiver werden, besonders in Hinsicht auf die Wahlen nächstes Jahr. Zum Schluss des Interviews kritisiert Correa das Schweigen der europäischen Union und hält fest, dass bisher kein wirklicher Druck auf die kolumbianische Regierung besteht und sie somit die Erklärungen der CIDH, UNO und anderen einfach in den Wind schlagen können.

https://www.ila-web.de/ausgaben/448/wer-die-proteste-unterst%C3%BCtzt-wird-zur-zielscheibe

Umstrittene Steuerreform wird durchgewinkt:

Die Steuerreform, weswegen unter anderem die Proteste Ende April begonnen haben, wurde Anfang September im Kongress durchgewinkt. Zwar wirbt Finanzminister Restrepo damit, dass vor allem die 29 Mio. Kolumbianer*innen, die heute an Sozialprogrammen teilnehmen, kleinere Unternehmer*innen sowie Arbeitslose von dieser Steuerreform profitieren sollen. Doch nach verschiedener Einschätzungen ist die Reform kein strukturelles Projekt und konzentriert sich fast ausschliesslich auf Steuern für Unternehmen. Die Opposition kritisierte zudem das Vorgehen, denn es wurde bereits ein Tag nach der Präsentation der umfangreichen Vorlage darüber abgestimmt, was den Abgeordneten keine Zeit gab, den Bericht genau zu studieren. Zudem kritisiert der Gewerkschaftsdachverband, dass es keine Möglichkeit gab, die Reform mit dem Volk zu analysieren und zu diskutieren. Es seien weder das Nationale Streikkomitee noch die sozialen Organisationen konsultiert worden, welche die erste Steuerreform im Frühling dank dem massiven Widerstand verhindert hatten. Deshalb wurden am 28. September wieder Proteste durchgeführt. Auch an diesen Protesten ging die Sondereinheit ESMAD am Abend in mehreren Städten wieder mit grosser Brutalität vor und liess zahlreiche Verletzte und auch Tote zurück.

https://amerika21.de/2021/09/253954/kolumbien-steuerreform-20-beschlossen?pk_campaign=newsletter&pk_kwd=daily

https://amerika21.de/2021/10/254596/wieder-landesweite-streiks-kolumbien?pk_campaign=newsletter&pk_kwd=daily

III. Tipps und Hinweise

Ila Sonderausgabe: Aufstand in Kolumbien

Das Lateinamerika-Magazin ‘ila’ hat eine Sonderausgabe zu den Protesten in Kolumbien herausgegeben mit Interviews, Dokumentationen und Reflexionen zu den seit Ende April anhaltenden Protesten.

https://www.ila-web.de/ausgaben/448#undefined

Gastbeitrag zu Kolumbien mit Christiane Schwarz:

Im Rahmen von Transparenz TV und der Sendreihe «Friedensragen mit Clemens Ronnefeldt» gibt es einen Beitrag mit Christiane Schwarz von kolko e.V. zum Thema ‘Kolumbien – ein Land im Ausnahmezustand’.

Verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=2FaLFttY_DY

Dritter Bericht zur Regierung Duque:

Die kolumbianischen Menschenrechtsplattformen haben ihren dritten Bericht zur Regierung Duque (El aprendiz del Embrujo) publiziert:

https://informesderechoshumanos.com

Lecciones del aprendiz: autoritarismo y desigualdad

8.10.2021, 18:00-19:30 Uhr

Käfigturm (Marktgasse 67), Bern / online

Bericht der kolumbianischen Menschenrechtsplattformen zum dritten Regierungsjahr Duques:  “Lecciones del aprendiz: autoritarismo y desigualdad” (Lektionen des Lehrlings: Autoritarismus und Ungleichheit) wird von den kolumbianischen Plattformen vorgestellt.

Anmeldung unter: https://www.askonline.ch/allgemein/bericht-lecciones-del-aprendiz-autoritarismo-y-desigualdad

IV.          Lesenswerte Artikel

–       So viele Binnenflüchtlinge wie seit fast zehn Jahren nicht mehr: https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.gewalt-in-kolumbien-zahl-der-binnenfluechtlinge-ist-stark-angestiegen.e94ee66a-4d5f-4728-91ed-fc85557e7026.html

–       Bilanz nach mehr als vier Monaten Streik: https://www.npla.de/thema/repression-widerstand/bilanz-des-landesweiten-streiks/?utm_source=mailpoet&utm_medium=email&utm_campaign=npla-newsletter-vom-date-d-date-mtext-date-y_1

–       Angehörige von Protestierenden werden verfolgt: https://www.npla.de/thema/repression-widerstand/angehoerige-der-streikenden-geraten-zunehmend-ins-visier-der-polizei/?utm_source=mailpoet&utm_medium=email&utm_campaign=npla-newsletter-vom-date-d-date-mtext-date-y_1

–       Erinnerung an Polizeigewalt während dem Lockdown: https://www.elespectador.com/judicial/un-ano-sin-saber-quien-dio-la-orden-de-disparar-en-verbenal/

–       Kolumbiens Strategie für die Klimaziele: https://www.elespectador.com/ambiente/bibo/campo-colombiano-sostenible-una-alianza-entre-colombia-y-la-union-europea/

–       Friedenswoche während massiver Repression: https://amerika21.de/2021/09/253827/kolumbien-friedenswoche-repression?pk_campaign=newsletter&pk_kwd=daily

–       Klare Analyse und Hintergrundinformationen zu den Protesten von Stefan Peters (Professor für Friedensforschung): https://www.ila-web.de/ausgaben/448/was-bleibt-von-den-protesten

–       Beindruckender Bericht über die Verleugnung von Beweisen im Fall von ermordeten Jugendlichen: https://www.ila-web.de/ausgaben/448/wir-k%C3%A4mpfen-bis-die-wahrheit-ans-licht-kommt

–       Kolumbien weiterhin das gefährlichste Land für Umweltschützer*innen: https://www.globalwitness.org/en/campaigns/environmental-activists/last-line-defence/?eType=EmailBlastContent&eId=db76ac3b-5053-461a-a3bc-47b72e4aebad

–       Kolumbien als Zwischenstation für afghanische Flüchtlinge auf dem Weg in die USA: https://www.washingtonpost.com/world/2021/09/05/colombia-afghan-refugees-duque/?eType=EmailBlastContent&eId=db76ac3b-5053-461a-a3bc-47b72e4aebad

–       Das Verschwindenlassen dient nicht nur dazu, das Delikt zu verschleiern, es soll Ungewissheit hinterlassen: https://www.npla.de/thema/memoria-justicia/auf-den-spuren-eines-verbrechens-ohne-spuren/?utm_source=mailpoet&utm_medium=email&utm_campaign=npla-newsletter-vom-date-d-date-mtext-date-y_1

–       Weitere militärische ‘Unterstützung’ seitens der USA in Kolumbien: https://amerika21.de/2021/09/254293/usa-kolumbien-aufruestung?pk_campaign=newsletter&pk_kwd=daily

–       Viele Migranten auf dem Weg in die USA stranden in Kolumbien: https://www.nzz.ch/international/suedamerikas-nadeloehr-tausende-migranten-harren-in-kolumbien-aus-ld.1648494?kid=nl165_2021-10-1&mktcid=nled&ga=1&mktcval=165_2021–10-02&trco=&reduced=true

 

Redaktion: Lisa Alvarado