Kolumbien-aktuell No. 605 | August 2020

Wie es sich wohl anfühlt, wenn man sich seit fünf Monaten mehr oder weniger in Quarantäne befindet? Bei uns in der Schweiz dauerte der Lockdown sechs Wochen, und auch während dieser Zeit durften wir aus dem Haus und uns zum Beispiel im Wald vom mentalen Stress der Krise erholen. Kolumbien befindet sich seit dem 24. […]

Wie es sich wohl anfühlt, wenn man sich seit fünf Monaten mehr oder weniger in Quarantäne befindet? Bei uns in der Schweiz dauerte der Lockdown sechs Wochen, und auch während dieser Zeit durften wir aus dem Haus und uns zum Beispiel im Wald vom mentalen Stress der Krise erholen. Kolumbien befindet sich seit dem 24. März 2020 mit zwischenzeitlichen Lockerungen und wiederholten Verschärfungen in Quarantäne. Auf dem Land, wo der Staat nicht präsent ist, werden die zum Teil noch strengeren Massnahmen von illegalen Gruppen rigoros durchgesetzt. Hält man sich nicht an die Regeln, riskiert man sein Leben. Zu den Regeln zählt auch, sich nicht für die Gemeinschaft und ihre Rechte einzusetzen. UN-Beobachtermissionen denunzieren die steigende Gewalt an MenschenrechtsverteidigerInnen und sozialen Führungspersonen und drücken ihre tiefe Besorgnis aus. Fast täglich kursieren Hilferufe und Nachrichten über erneute Morde und Massaker durch das Netz. Allein im Monat August wurden über 40 Jugendliche in mehreren Massakern in verschiedenen Teilen des Landes ermordet, Gründe dafür sind bisher nicht klar. Es ist keine schöne Zeit für Kolumbien.

I.   Artikel

Auch Aktionärinnen und Aktionäre tragen Verantwortung

Gewinne erzielen, aber nicht um den Preis der Nachhaltigkeit! Das ist das Motto von Actares, einer kritischen Aktionärsvertreter-Organisation. Es gebe auch wirtschaftliche, nicht nur ethische Argumente, sagt Karin Landolt, Actares-Co-Geschäftsführerin.

Darum sei ein Ja zur Konzernverantwortungsinitiative auch für Aktionärinnen und Aktionäre ein Muss.

(Von Karin Landolt)

https://www.askonline.ch/allgemein/auch-aktionaerinnen-und-aktionaere-tragen-verantwortung

Uribe und der Hausarrest

Am 3. August 2020 hat der Oberste Gerichtshof in Kolumbien eine historische Entscheidung

getroffen. Alvaro Uribe, Ex-Präsident und Vorsitzender der Partei Centro Democrático, wird

unter Hausarrest gestellt. Grund dafür: Das Gericht sieht die Gefahr, dass Uribe zukünftige

Untersuchungen manipulieren könnte. Damit wird mit dem grössten Mythos gebrochen, den

seine Anhänger um ihn herum geschaffen haben: Seine Überlegenheit gegenüber

Institutionen und der Justiz, und die Sicherheit, dass seine Worte unbestreitbar und seine

Taten jeder Strafe überlegen sind.

(Von Lisa Alvarado)

https://www.askonline.ch/themen/frieden/uribe-und-der-hausarrest

Glencore in den Schlagzeilen: Umwelt- und Gesundheitskrise, tiefe Kohlepreise und Konflikte mit Gemeinschaften

Glencore sorgte in den letzten Wochen für Schlagzeilen in Kolumbien. Die Tochterfirmen Prodeco und Cerrejón sehen sich verschiedenen Konflikten und für sie negativen Gerichtsurteilen gegenüber. So gelangten Wayuu-Frauen des Resguardo Provincial an verschiedene UNO-Instanzen, um Sofortmassnahmen zum Schutz der Gesundheit zu fordern, u.a. einen Unterbruch der Operation in kritischen Pits. Die Contraloría (Rechnungsprüfungshof) hat zudem Cerrejón und verschiedene Behörden gemassregelt, weil sie das Urteil des Verfassungsgerichtes zur Umleitung des Arroyo Bruno nicht umsetzten. Die Erweiterung der Mine La Jagua von Prodeco ist wegen mehreren Gerichtsurteilen blockiert: die indigenen Yukpa haben erfolgreich gegen die Zerstörung und Enteignung ihres Lebensraumes geklagt. Der kolumbianische Staat hat nun die Pflicht, das historische Territorium der Yukpa festzulegen und ihre Resguardos zu vergrössern sowie eine Konsultation durchzuführen. Da die Mine La Jagua auf dem Gebiet liegt, das die Yukpa für sich reklamieren, dürfen momentan keine neuen Umweltlizenzen erteilt werden. Prodeco ersuchte darum Anfang Juli 2020 bei der Bergbaubehörde ANM um die unbefristete Suspendierung des Kohleabbaus. Am 20. August 2020 hat die Bergbaubehörde dieses Gesuch abgelehnt.

(Von Stephan Suhner)

https://www.askonline.ch/allgemein/der-juristische-kampf-um-den-zukuenftigen-betrieb-der-kohlemine-el-cerrejon-geht-weiter

https://www.askonline.ch/allgemein/dreifache-krise-fuer-prodeco-corona-fallende-preise-und-gerichtsurteile

https://www.askonline.ch/allgemein/offener-brief-der-sechs-autoritaeten-der-yukpa-an-den-generalstaatsanwalt-kolumbiens

https://www.askonline.ch/allgemein/kolumbiens-bergbaubehoerde-lehnt-suspension-des-kohleabbaus-durch-prodeco-ab

II.   Apropos

Guillermo Tenorio, El Mayor

Im Juli hatte die Regionalgruppe Luzern Besuch. Guillermo Tenorio, oder El Mayor wie er auch genannt wird aufgrund seines Status als Ältester unter den Nasa im Cauca, wohnt momentan in Deutschland. Als er Ende 2019 ein Attentat überlebte, musste er fliehen. Der ehemalige Mitbegründer des indigenen Dachverbandes CRIC muss seither aus der Ferne mit ansehen, wie der Cauca in der Gewalt versinkt. Sowohl ein Mitglied der Regionalgruppe Luzern, wie auch Medien in Deutschland haben etwas über die Geschichte von El Mayor geschrieben, die im Kontext der Gewalt gegen Indigene und MenschenrechtsverteidigerInnen in Kolumbien steht.

https://www.askonline.ch/themen/menschenrechte/der-indigene-besuch-aus-dem-leidgebeutelten-cauca-kolumbien

https://www.deutschlandfunkkultur.de/kolumbien-im-schatten-der-coronakrise-explodiert-die-gewalt.979.de.html?dram:article_id=480918

https://amerika21.de/2020/08/242150/gewalt-gegen-indigene-cauca-nimmt-zu?pk_campaign=newsletter&pk_kwd=daily

Ein neuer «Plan Colombia»

Kolumbien und die USA starten ein neues Programm der bilateralen Beziehungen: «Colombia Crece» wird es genannt. Laut der kolumbianisch-amerikanischen Handelskammer sei diese Initiative ein Schritt in Richtung der US-Initiative ‘Zurück nach Amerika’, wobei es darum geht, US-Unternehmen, die in China produzierten in Zukunft in Lateinamerika anzusiedeln. Das Programm beinhaltet Aspekte der ländlichen Entwicklung, Ausweitung der Infrastruktur, Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit. Gerade die letzten beiden Punkte sind Grund zur Sorge, denn ein Ziel der Initiative sei es, den Druck auf die sozialistischen Regierungen in der Region, also Venezuela, Kuba und Nicaragua zu erhöhen. Ausserdem sprach Adam Boehler, Leiter der finanziellen Entwicklungszusammenarbeit der USA, explizit von einem neuen «Plan Colombia», der Sicherheitsstrategie, die in den 2000-er Jahren unter Alvaro Uribe zu einer dramatischen Eskalation des Konflikts mit der FARC geführt hatte. Besonders unter dem «Plan Colombia» gelitten hatten einmal mehr arme Bauern, Indigene und Afrokolumbianerinnen. Die näheren Details des Programms werden in den nächsten Wochen in Verhandlungsrunden eruiert werden, wobei bereits fünf Milliarden Dollar für Privatinvestitionen in ländlichen Regionen vorgesehen sind.

https://amerika21.de/2020/08/242760/kolumbien-waechst?pk_campaign=newsletter&pk_kwd=daily

Massakerwelle im ganzen Land

Im August hat eine erneute Welle der Gewalt das Land erfasst. Am 10. August wurden im Valle del Cauca zwei Jugendliche auf dem Weg zur Schule getötet. Am 11. August wurden fünf Minderjährige in der Favela Llano Verde in Cali massakriert. Alle waren Afrokolumbianer. Am Tag der Beerdigung warfen Unbekannte eine Granate auf die Anwesenden und töteten mit der Explosion eine Person und verletzten mindestens 14 weitere. Am 15. August wurden in Samaniego in Nariño acht Jugendliche getötet, weitere schwer verletzt. Auch in Nariño kam es am 18. August zu einem Mehrfachmord an mindestens drei jungen Indigenen, von 12 weiteren fehlt jede Spur. Am Wochenende um den 22. August wurden innerhalb von 48 Stunden 20 Personen, darunter wieder zahlreiche Jugendliche, umgebracht. Dies in den Departementen Cauca, Arauca, Nariño und Antioquia.

Beobachter halten fest, dass die Morde an «soziale Säuberungen» erinnern, die während des bewaffneten Konflikts immer wieder, vornehmlich durch Paramilitärs, durchgeführt wurden. Ivan Duque gab schon vor den ersten Nachforschungen dem ELN und «anderen Drogenbanden» die Schuld und versprach eine Aufklärung der Ereignisse. Das ELN wies die Vorwürfe umgehend zurück und gab die Schuld einer Allianz zwischen Militär, Polizei und Paramilitärs in der Region Nariño. Verantwortliche des Militärs hingegen geben den Jugendlichen selbst die Schuld, indem sie sie als Mitglieder von Drogenbanden brandmarken. Mittlerweile hat Verteidigungsminister Carlos Holmes Trujillo in Arauca die Schaffung einer neuen Instanz angekündigt: die Spezialeinheit für Identifikation, Lokalisierung und juristische Verfolgung der Täter von kollektiven Morden. Eine weitere Debatte gab es um die Aussage von Duque, es seien keine Massaker sondern kollektive Morde.

Das Büro der Vereinten Nationen und die UN-Überprüfungsmission des Friedensprozesses verurteilen die Morde und brachten in einer gemeinsamen Erklärung ihre «tiefe Besorgnis» zum Ausdruck. Die ask! fordert zusammen mit dem Espacio de Cooperación para la Paz ECP mittels einer Medienmitteilung eine Aufklärung der Ereignisse.

https://amerika21.de/2020/08/242712/massaker-jugendliche-kolumbien?pk_campaign=newsletter&pk_kwd=daily

https://amerika21.de/2020/08/242928/kolumbien-massaker-tote-frieden-gewalt?pk_campaign=newsletter&pk_kwd=daily

Die Besprühungen aus der Luft mit Glyphosat bleiben weiterhin aufgeschoben

Obwohl der Verteidigungsminister den Prozess zur Wiederaufnahme der Glyphosatbesprühungen beschleunigen will und angekündigt hatte, dass die Stunde null nahe sei, bleiben diese weiterhin suspendiert. Ein Gericht in Pasto hat die für den 1. September 2020 geplante virtuelle Anhörung aufgeschoben. Das Gericht hat die zuständigen Behörden verpflichtet, Informationen über die Durchführung der Prozesse zur vorgängigen Konsultation und Zustimmung mit den indigenen Volksgruppen beizubringen und die effektive und umfassende Teilnahme der Gemeinschaften aus den 104 Gemeinden, in denen besprüht werden soll, zu garantieren, bevor weitere Schritte in diesem Prozess gemacht werden dürfen.

https://www.change.org/p/anla-col-suspendan-la-audiencia-virtual-para-regreso-del-glifosato-glifosatonuncam%C3%A1s-minambienteco-mininterior/u/27586272?cs_tk=AkvThFhJlJvzA1gHSF8AAXicyyvNyQEABF8BvMK6kNpLw5sz4uxcmCel5Bw%3D&utm_campaign=795e56685ea2499ab633c41f258c3a2f&utm_content=initial_v0_4_0&utm_medium=email&utm_source=petition_update&utm_term=cs

https://www.colectivodeabogados.org/Suspendida-la-audiencia-virtual-para-retomar-las-aspersiones-aereas-con

II.   Tipps und Hinweise

Postkartenaktion für die Konzernverantwortungsinitiative

Heute in 100 Tagen stimmen wir über die Konzernverantwortungsinitiative ab, die wir von der ask! unterstützen. Um gegen die Millionenkampagne der Konzernlobby eine Chance zu haben, plant KVI die grösste Mobilisierungsaktion, die es in der Schweiz je gegeben hat! Mit 500’000 handgeschriebenen Postkarten wollen wir eine halbe Million Stimmberechtigte daran erinnern, JA zu stimmen, sobald die Abstimmungs-Unterlagen kommen. Wie vielen Deiner Bekannten kannst Du eine Postkarte schreiben? Mache hier Dein Postkarten-Versprechen für den Abstimmungskampf:

www.konzern-initiative.ch/versprechen-fuer-den-abstimmungskampf/

Webinar über die Umsiedlung der Gemeinschaft El Hatillo

Die NGO Pensamiento y Acción Social PAS begleitet seit 2011 den Umsiedlungsprozess der Gemeinschaft El Hatillo, unterstützt durch die Arbeitsgruppe Schweiz Kolumbien. Gloria Holguín, die für PAS von 2011 bis 2017 in El Hatillo arbeitete, erarbeitete eine Systematisierung des ganzen Prozesses. Zusammen mit dem Fachstellenleiter der ask!, Stephan Suhner, diskutierte sie über die Erfahrungen und Lessons Learned dieses Prozesses. Unter diesem Link kann das Webinar nachverfolgt werden:

https://www.facebook.com/watch/live/?v=636034594011812&ref=watch_permalink
Zur Studie selbst: https://www.pas.org.co/investigacion-el-hatillo

Webinar-Reihe zu Just Transition im kolumbianischen Kohlebergbau

Verschiedene NGO organisierten mit der Unimagdalena eine Serien von Webinars zu einem fairen Übergang von der Kohleindustrie/dem Kohlebergbau zu alternativen Wirtschaftsmodellen. Dabei wurden verschiedene Themen vertieft, u.a. unfreiwillige Umsiedlungen/Vertreibung durch Entwicklung, Auswirkungen auf den Klimawandel etc.

Cuarto Conversatorio: Desplazamiento por Desarrollo https://www.youtube.com/watch?v=SW_6eCItInM
Impactos del carbón en la región Caribe de Colombia https://www.youtube.com/watch?v=Nscstzh-AU0

https://www.youtube.com/watch?v=WwhfJD22C0Y&t=911s

IV.          Lesenswerte Artikel

Multimedia-Spezial zu den Zusammenstössen zwischen öffentlichen Sicherheitskräften und ländlicher Bevölkerung aufgrund von gewaltsamer Ausrottung: https://www.observatoriodetierras.org/erradicacion-forzada-politica-que-mata/

–       Multimedia-Illustration zu El Hatillo, das Dorf, das unter der Kohle verschwindet: https://voragine.co/el-hatillo-la-comunidad-que-va-a-desaparecer-por-el-carbon

–       Geschichte eines Campesinos in den Llanos: https://www.npla.de/thema/repression-widerstand/der-lange-kampf-gegen-paramilitaers-guerilla-und-oelkonzerne/

–       Umweltschützer leben gefährlich in Kolumbien: https://amerika21.de/2020/07/242085/212-getoetete-umweltschuetzer-2019?pk_campaign=newsletter&pk_kwd=daily

–       Wissenschaftlicher Artikel zu ISDS (Investor-Staat Streitbeilegung) und Santurbán: https://www.iied.org/investment-disputes-below-whose-rights-matter

–       Medienmitteilung von CETIM über Rechte von Kleinbauern und Freihandelsabkommen im Zusammenhang mit der Schweiz und Link zur Studie: https://www.cetim.ch/switzerland-peasants-rights-and-free-trade-agreements/

–       Analyse von OIDHACO zum Handelsabkommen zwischen der EU und Kolumbien, Peru und Ecuador: http://www.oidhaco.org/?art=2329&title=Trade+Agreement+EU-Colombia%2C+Per%FA%2C+Ecuador%3A+minimal+positive+impact+on+Human+and+Labour+Rights%2C+Peace+and+Environment+in+Colombia&lang=es

–       Streik wegen den schlimmen Umständen in kolumbianischen Gefängnissen: https://amerika21.de/2020/08/242871/hungerstreik-gefangene-kolumbien?pk_campaign=newsletter&pk_kwd=daily

 

Redaktion: Lisa Alvarado