Dieser Monat war geprägt von Protesten in ganz Lateinamerika – Ecuador, Chile, Bolivien, und auch Kolumbien. Obwohl die Proteste in jedem Land ihre eigene Logik haben, gibt es doch einen gemeinsamen Nenner: es geht um eine Bewusstseinsrevolution, wie es Camilo González im Interview mit der ask! ausgedrückt hat. Es geht um die Unzufriedenheit mit einem Modell der Globalisierung, welches die Jugend und die Frauen diskriminiert, die Regeln von multinaitonalen Konzernen vertritt und bis zu den grundlegendsten öffentlichen Dienstleistungen alles privatisiert. Obwohl die Nachrichten gefüllt sind mit Bildern von massloser, repressiver Gewalt von seiten der nationalen Sicherheitskräfte ist ein leiser Optimismus zu vernehmen. Die grösstenteils friedlichen Proteste und „cacerolazos“ der letzten Woche zeigen das Entstehen einer politisch aktiven Jugend und Gesellschaft im Allgemeinen, die sich grundsätzlich gegen Gewalt, Korruption, Exklusion und Ungleichheit, dafür für den Frieden auf die Strasse begeben.
I. Artikel
Interview zum „Paro Nacional“ mit Camilo González
Seit dem 21. November finden in ganz Kolumbien Proteste gegen die neoliberale Politik der Regierung, sowie gegen Gewalt und für den Frieden statt. International machen Nachrichten von repressiver Gewalt, dem Tod des 18-jährigen Dylan Cruz und der Antwort der Bürger mit „cacerolazos“ die Runde. Die ask! führte ein Interview mit Camilo González Posso , Präsident von Indepaz (Institut für Entwicklung und Frieden) und Direktor des Projekts Centro de Memoria Historica in Bogotá, durch.
(Von Lisa Alvarado)
https://www.askonline.ch/themen/menschenrechte/interview-zum-paro-nacional-mit-camilo-gonzalez
Defendamos la Paz – Breite Bewegung für den Frieden
Ivan Cepeda und Juan Fernando Christo kamen auf Einladung der Friedrich Ebert Stiftung FESCOL nach Deutschland und nach Brüssel. Ziel des Besuches war, die Initiative Defendamos la Paz vorzustellen, eine Initiative, die vor einem knappen Jahr entstanden ist und heute 3000 Mitglieder in 35 thematischen und regionalen Gruppen zählt. Dazu gehören ehemalige Verhandlungsführer mit den FARC, 60 Kongressabgeordnete verschiedener Parteien, Ex-Minister, Mitglieder von sozialen Bewegungen und von Menschenrechtsorganisationen sowie ehemalige Militärs. Es ist die breitest aufgestellte Plattform zu Gunsten des Friedens, die es in Kolumbien je gab und sie hat beträchtlichen Einfluss. So konnte Defendamos la Paz negative Entwicklungen verhindern, z.B. die Ablehnung der JEP durch Präsident Duque, oder die Situation der Morde an sozialen Führungspersonen sichtbar machen.
(Von Stephan Suhner)
https://www.askonline.ch/allgemein/defendamos-la-paz-breite-bewegung-fuer-den-frieden
Ein Raum für die Erinnerungen der Frau – ein Raum für Widerstand
Zwischen Erdölreichtum und bitterer Armut, zwischen Paramilitärs und Guerillas behauptet die Organización Femenina Popular seit 47 Jahren ihren Platz in Barrancabermeja, Kolumbien. Vor kurzem hat die Organisation das Haus der Erinnerung und der Menschenrechte der Frau eröffnet – das erste in Kolumbien mit einem expliziten Frauenfokus.
(Von Lukas Becker)
II. Monatsbericht
Samen der Hoffnung – Das Schweizer Multitrack-Friedensförderungsprogramm in der Praxis
Mitte November hatte die ask! Besuch von zwei Menschenrechtsverteidigerinnen aus Kolumbien. Diana Luz Barrios Márceles von COLEMAD und Yesica Blanco Lozano von Sembrandopaz waren im Rahmen des Friedensförderungsprogramms des EDA in Zusammenarbeit mit 10 Schweizer NGOs während einer Woche in Genf und in Bern unterwegs, mit dem Ziel, der Schweiz zu zeigen, wie die Situation in Kolumbien momentan aussieht. Dabei wurden Treffen unter anderem mit dem EDA, an der UNO und an der Geneva Peace Week organisiert.
(Von Lisa Alvarado und Stephan Suhner)
III. Apropos
Rücktritt des Verteidigungsministers Botero:
Am 6. November hat der Verteidigungsminister Guillermo Botero seinen Rücktritt erklärt. Dies ist vor dem Hintergrund geschehen, dass Roy Barreras, Senator der U Partei, ein Misstrauensvotum im Senat durchgebracht hatte. Dies aufgrund der Tatsache, dass in einem Bombardement gegen alias Cucho, den Chef einer FARC-Dissidenz im Caquetá, mindestens acht zwangsrekrutierte Minderjährige umgekommen waren. In seinem Rücktrittsschreiben ging Botero nicht auf diesen Vorfall ein. Stattdessen hob er hervor, dass während seiner Amtszeit mehr als 100‘000 ha Kokafelder eliminiert wurden. Auch vom Präsidenten wurde Botero gelobt für seine exzellente Arbeit. Zugleich ernannte er Luis Fernando Navarro, Militärkomandant, vorläufig als neuen Minister. Am 23. November hat aber dann Carlos Holmes Trujillo, bisher Aussenminister, den Posten angetreten.
https://www.elcolombiano.com/colombia/renuncio-guillermo-botero-ministro-de-defensa-NI11915866
Forderung an die JEP zur Aufklärung über Verschwundene:
Der Übergangsjustiz JEP wurde ein Bericht über die mehr als 80‘000 Verschwundenen während des Konflikts präsentiert mit dem Ziel, dass die JEP einen speziellen Fall für die Verschwundenen eröffne. Dies ist für die Initianten besonders wichtig, da bisher laut dem Bericht 99.5% dieser Fälle straflos geblieben sind. In einem früheren Bericht des ‚Centro Nacional de Memoria Histórica‘ (CNMH) wird geschätzt, dass über 50% der Täterschaft den Paramilitärs zuzuordnen ist, 12% den Guerillas, und je gut 3% demobilisierten Gruppen und Staatsbehörden. Allerdings sind alle Zahlen Schätzungen aufgrund der mangelnden Informationen, die vorhanden sind. Deshalb hat die Forderung an die JEP zum Ziel, die Ursachen und Hauptverantwortlichen dieser Fälle zu identifizieren.
https://www.contagioradio.com/el-llamado-a-la-jep-para-abrir-caso-sobre-desaparicion-forzada-en-colombia/
Unverminderte Gewalt im Cauca:
Nach zwei Massakern in Tacuyeó und Corinto im Cauca, sowie unzähligen Einzelfällen von Gewalt sah sich die Regierung doch gezwungen, etwas zu unternehmen. Ihre Antwort besteht darin, noch mehr Militär in den Cauca zu schicken. Präsident Duque hat die Verstärkung des Militärs mit 2500 Soldaten angekündigt. Auch der neue Verteidigungsminister HolmesTrujillo will diese Linie weiterführen. Die Indigenenorganisationen sprechen sich hingegen vehement gegen eine Militarisierung ihres Territoriums aus. Auch den Vorschlag, das Militär solle mit der Guardia Indígena zusammenarbeiten, lehnen sie kategorisch ab. Ihre Verteidigung ist friedlich und soll es auch bleiben. So fordert auch die UNO einen integralen Schutzplan für die indigenen Nasa des Cauca. Seit Beginn dieses Jahres wurde vom Menschenrechtsbüro der UNO in Kolumbien 52 Morde auf Territorium der Nasa festgestellt, davon waren 11 Personen MenschenrechtsverteidigerInnen.
https://caracol.com.co/radio/2019/11/01/nacional/1572617018_592805.html
Umstrittenes Fracking: Umweltschutz oder gesicherte Energieversorgung
Kolumbien kämpft um die Versorgungssicherheit mit Energie, und Erdgas spielt dabei eine wichtige Rolle. Vielversprechend ist die Gasförderung durch Fracking, diese Methode ist aber sehr umstritten, führt zu heftigen Protesten und harrt noch der staatlichen Bewilligung und einer endgültigen Entscheidung des Staatsrates. Aktuell ist die Guajira der grösste Gasproduzent mit drei aktiven Feldern. Im Departement Cesar werden jedoch Reserven von 10 Trillionen Kubikfuss Gas vermutet, mehr als das doppelte der bisherigen landesweiten Vorkommen. Dieses Gas ist aber grösstenteils nur mit Fracking förderbar. Lediglich Drummond produziert Erdgas in Cesar parallel zur Kohlegewinnung. Die Bergbauministerin María Fernanda Suárez sagt dazu, dass Kolumbien ohne Fracking nur noch Gasreserven für knapp 10 Jahre habe, wobei die Wichtigkeit von Erdgas als Übergangsenergieträger steige. Kolumbien sei zudem noch schlecht exploriert. Carlos Santiago von der Allianz gegen das Fracking betont hingegen des Vorsichtsprinzip (principio de precaución), Kolumbien soll auf Fracking verzichten und die Reserven auf anderem Weg erhöhen. Er zieht dabei auch die kürzlich erfolgte Entscheidung Grossbritanniens bei, auf Fracking zu verzichten.
Im November hat die Heinrich Böll Stiftung das Buch „La inviabilidad del fracking frente a los retos del siglo XXI“ herausgegeben. Darin führen die sieben Autoren Argumente auf, warum das Fracking unmöglich sei: Klimawandel, Verlust an Biodiversität, Verschmutzung von Wasser, Luft und Boden, Zunahme sozialer und Umweltkonflikte etc. Es sei dringend notwendig, Alternativen für nach dem Erdöl zu entwickeln, die auf Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit beruhen. Das Buch hat eine optimistische Grundtendenz, denn es würden die Information, die Technologien und die sozialen Kräfte bestehen, um einen historischen Wandel herbeizuführen.
http://co.boell.org/es/2019/11/15/la-inviabilidad-del-fracking-frente-los-retos-del-siglo-xxi
https://colombialibredefracking.wordpress.com/
https://elpilon.com.co/los-dilemas-de-la-produccion-de-gas-en-el-cesar/
IV. Tipps und Hinweise
Ask-Menschenrechtsgottesdienste
7./8.12.19 St. Felix und Regula Thalwil: Sa 18:00 und So 10:00 Uhr Anita Roesch Bermudez
7./8.12.19 Herz Jesu Hausen am Albis: Sa 17:00 und So 11:00 Uhr Manuela Balett
7./8.12.19 Pastoralraum Olten: Sa 18:00, So 9:30, 11.00 Hans A. Nikol-Frutiger
8.12.19 Pastoralraum Hitzkirchertal: So 9:00 und 10:30 Uhr Regula Erazo Lachenmeier
8.12.19 Heiligkreuz Bremgarten So 11.00 Uhr Thomas Studer
25./26.1.20 Pastoralraum Biel: Sa 17:00 und So 9:30, 9:45 und 11.15 Uhr Stephan Suhner/Hans A. Nikol
8./9.2.20 Pastoralraum Kriens: Sa 17:00 und So 11:00 Uhr Julia Erazo
9.2.20 St. Martin Thun: So 11:00 Uhr Thomas Studer
Am 2. Advent und zu anderen Zeiten werden zum UNO-Menschenrechtstag (jeweils 10. Dezember) Menschenrechtsgottesdienste gefeiert. Es gilt das Evangelium aus dieser harten Realität her-aus zu deuten und Hoffnung zu schöpfen für das weitere Engagement für Gerechtigkeit, Frieden und Be-wahrung der Schöpfung weltweit und im Besonderen in Kolumbien.
https://www.askonline.ch/veranstaltungen/ask-menschenrechtsgottesdienste
Kolumbien: Die Schule inmitten des bewaffneten Konflikts
Dienstag, 10.12.2019 19:00-21:30 Uhr
Käfigturm, Marktgasse 67, 3011 Bern
Vortrag und Diskussion mit Catalina Angel Pardo
https://www.askonline.ch/veranstaltungen/kolumbien-die-schule-inmitten-des-bewaffneten-konflikts
Kolumbien – Wem gehört der Frieden?
In Kolumbien herrscht seit 2016 Frieden zwischen der Regierung und den FARC-Rebellen. Doch bis heute ist das Land von den Folgen des Bürgerkrieges und extremer sozialer Ungleichheit gezeichnet.
Dokumentarfilm zum Friedensprozess in Kolumbien von Uli Stelzner.
Der Film ist noch bis zum 13.12.2019 in der zdf-Mediathek abrufbar.
https://www.zdf.de/dokumentation/zdfinfo-doku/kolumbien-wem-gehoert-der-frieden-102.html
V. Lesenswerte Artikel
– Der Urwald als Opfer des Konflikts: https://verdadabierta.com/especiales-v/2018/ddhh-posconflicto-colombiano/la-macarena.html
– Überlebenskampf in kolumbianischen Gefängnissen: https://www.contagioradio.com/el-lujo-de-sobrevivir-en-una-prision-de-colombia/
– Festival zum Dialog über die Stigmatisierung von psychoaktiven Substanzen: https://www.contagioradio.com/uy-que-miedo-el-festival-que-desmiente-las-drogas-en-colombia/
– Die Rolle der Kleinbauern beim Schutz von Nationalpärken: https://www.elespectador.com/static_specials/368/parques-nacionales-naturales/index.html
– Mythen und Fakten über die Präsenz von mexikanischen Drogenkartellen in Kolumbien: https://www.razonpublica.com/index.php/internacional-temas-32/12406-mitos-y-realidades-sobre-la-presencia-del-cartel-de-sinaloa-en-colombia.html?utm_source=MadMimi&utm_medium=email&utm_content=El+bombardeo+en+Caquet%C3%A1%3A+reflexiones+desde+el+derecho+internacional&utm_campaign=20191112_m155144792_El+bombardeo+en+Caquet%C3%A1%3A+reflexiones+desde+el+derecho+internacional&utm_term=Mitos+y+realidades+sobre+la+presencia+del+Cartel+de+Sinaloa+en+Colombia
– Der Streik in Kolumbien geht weiter: https://amerika21.de/2019/11/234819/kolumbien-streik-verhandlungen?pk_campaign=newsletter&pk_kwd=daily
– 20. November als Gedenktag für die Opfer von Trans*feindlichkeit: https://www.npla.de/thema/feminismus-queer/20-november-gedenktag-fuer-die-opfer-von-transfeindlichkeit/
Redaktion: Lisa Alvarado