Liebe Leserinnen und Leser
Im Mai erhielt die ask! Besuch aus Peru und Bolivien. Anlass war die Präsentation des Schattenberichts der „Red Sombra“ zu den Aktivitäten von Glencore in Südamerika. Anhand von minutiös recherchierten Fallbeispielen aus Kolumbien, Peru, Bolivien und Argentinien zeigt der Bericht Menschenrechtsverletzungen und Umweltsünden im Umfeld des Rohstoffabbaus des Schweizer Konzerns auf. Der Bericht kann auf Spanisch oder Englisch heruntergeladen werden.
Das Verfassungsgericht von Kolumbien hat in einem historischen Urteil den Rio Atrato als Rechtssubjekt unter Schutz gestellt und verpflichtet die kolumbianische Regierung, den Fluss vor weiterer Verseuchung mit Quecksilber durch den Bergbau zu beschützen. Im Monatsbericht kommentieren wir die Auswirkungen des Urteils und werfen ein Licht auf die Herkunft und die Transportwege des Quecksilbers.
Solidarische Grüsse aus der Redaktion!
I. Artikel
Red Sombra lanciert Schattenbericht zu Glencores Nachhaltigkeit in Lateinamerika
Mitte Mai 2017 hat das Red Sombra einen Schattenbericht zur Nachhaltigkeit von Glencores Bergbauoperationen in den Ländern Argentinien, Bolivien, Peru und Kolumbien herausgegeben. Die ask! hat zusammen mit Multiwatch die Rundreise in der Schweiz von zwei Vertretern des Netzwerks organisiert. Die ask! hat sich mit Limbert Sanchez von der NGO CEPA aus Oruro in Bolivien und Jaime Borda von der NGO Derechos Humanos sin Fronteras aus Cusco, Peru, über das Netzwerk und den Schattenbericht unterhalten.
(Von Stephan Suhner)
Höhenflüge und Tiefpunkte des Friedensprozesses
Der ehemalige Präsident Uribe und seine Partei versuchen weiterhin, den Friedensprozess wo nur möglich zu behindern. Die Regierung ist jedoch trotz einem Urteil des Verfassungsgerichts zuversichtlich, die gesetzlichen Grundlagen zur Umsetzung des Friedensvertrags mit den FARC schaffen zu können. Während die FARC sich bereits ein neues, demokratisches Image geben und ihre politische Zukunft vorbereiten, steckt die ELN in langwierigen Friedensverhandlungen mit der kolumbianischen Regierung fest. Die grösste Gefahr für den Frieden geht weiterhin von den erstarkenden Paramilitärs aus.
(Von Fabian Dreher)
II. Monatsbericht: Historisches Urteil des Verfassungsgerichts: Der Fluss Atrato hat Rechte und der Staat muss seinen umfassenden Schutz garantieren
Gestützt auf eine Grundrechtsklage, die die NGO Tierra Digna im Namen verschiedener Gemeinschaften des Chocó eingereicht hat, hat das Verfassungsgericht geurteilt, dass der Atrato ein eigenständiges Rechtssubjekt sei und der Staat deshalb einen umfassenden Plan zu dessen Schutz und Erholung erarbeiten und umsetzen müsse. Damit gab das Verfassungsgericht den Klägern Recht, dass der unkontrollierte illegale Bergbau mit schweren Maschinen und Einsatz von giftigen Substanzen nicht wieder gut zu machende Schäden verursache und die Grundrechte der ethnischen Gemeinschaften verletze. Der Staat wird angehalten, innert sechs Monaten Massnahmen zur definitiven Ausmerzung des illegalen Bergbaus im Chocó und zur Dekontaminierung des Flussgebietes des Atrato zu ergreifen. Pikanterweise tragen Schweizer Quecksilberexporte nach Kolumbien wahrscheinlich zur Verseuchung des Atrato bei.
(Von Stephan Suhner)
III. Apropos
Bericht zur Lage der Menschenrechtsverteidigerinnen in Kolumbien 2012-2017
Der Bericht von Corporación Humanas Colombia/Paz con Mujeres zur Lage der Menschenrechtsverteidigerinnen in Kolumbien von 2012 bis 2017 zeichnet ein düsteres Bild. Und seit der Unterzeichnung des Friedensvertrags zwischen der Regierung und den FARC-EP hat sich die Bedrohungslage noch einmal verschärft. Zwischen dem 1. Dezember 2016 und dem 30. April 2017 wurden mindestens 34 MenschenrechtsverteidigerInnen ermordet (andere Quellen sprechen von 41 Opfern), davon 10 Frauen. Der Friedensvertrag hat für Menschenrechtsverteidigerinnen und soziale Führungspersonen zu einer Zunahme der Bedrohung geführt.
Es ist ein positives Zeichen, dass es gelungen ist, die spezifischen Anliegen der Frauen in Quito an den Verhandlungstisch zwischen Regierung und ELN zu bringen. Damit besteht die Chance, dass die Geschlechterfrage Eingang in den Friedensvertrag findet und den Menschenrechtsverteidigerinnen zusätzlicher Schutz vor Gewalt gewährt werden kann.
http://pazconmujeres.org/plantillas/arch_web/Boletin-Defensoras-2012_2017.pdf
Landraub, Korruption, Finanzierung von Paramilitärs: die Geschichte der Banane in Kolumbien
Oft sind die Ereignisse bereits vor Jahrzehnten geschehen: doch auch heute kommen immer noch weitere Beweise gegen die Bananenfirmen und Plantagenbesitzer ans Licht. Die Geschichte der Banane in Kolumbien ist eine Geschichte von Landraub, Vertreibung, von der Finanzierung von paramilitärischen Gruppen durch internationale Unternehmen und reiche Grundbesitzer, von Korruption und Bestechung.
Auch heute, 20 oder 30 Jahre nach den Ereignissen, warten die Vertriebenen, die Opfer von Menschenrechtsverletzungen und ihre Nachkommen weiter auf Gerechtigkeit. Sie warten weiter auf Entschädigung für erlittenes Unrecht und die Rückerstattung ihres Grundbesitzes. Und sie warten auf die öffentliche Aufarbeitung der Wahrheit über die Verschwundenen und Mordopfern der Paramilitärs.
http://www.verdadabierta.com/especiales-v/2017/chiquita/nuevos-papeles-chiquita.html
http://latierraesclava.eldiario.es/banano/
Generalstreik im Chocó und in Buenaventura
Im Departement Chocó und in Buenaventura hat die lokale Bevölkerung einen Generalstreik ausgerufen. Die Sicherheitslage ist auf Grund von gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen ELN, paramilitärischen Gruppen und Armee prekär, immer mehr Menschen werden von Paramilitärs bedroht, vertrieben oder ermordet.
Zudem wehrt sich die Bevölkerung gegen die Vernachlässigung durch die Regierung in Bogotá. In diesen ärmsten Gegenden Kolumbiens liegt die Lebenserwartung weit unter dem nationalen Durchschnitt während kaum 20 Prozent der Bevölkerung ihre Grundbedürfnisse befriedigen können. Von den letztes Jahr vereinbarten Verbesserungen habe die Zentralregierung von Präsident Santos nur gerade 10 Prozent umgesetzt. Es wurden weder neue Schulen und ein Spital gebaut noch die bestehenden Strassen ausgebaut und befestigt. Die Generalstreiks sollen auf unbestimmte Zeit weitergehen, solange die Regierung in Bogotá keine verbindlichen Zusagen zur Verbesserung der humanitären Lage in Chocó und in Buenaventura macht.
Auswirkungen des Konflikts in Venezuela auf Kolumbien
Die wirtschaftliche und politische Krise in Venezuela wird immer grösser. Die Proteste der rechtsliberalen Opposition gegen den immer autoritärer regierenden Präsidenten Nicolas Maduro haben eine politische Lösung in weite Ferne gerückt. Gleichzeitig verschlechtert sich die Sicherheitslage für die Bürger insbesondere in den Grossstädten immer weiter. Wirtschaftlich ist das Land am Boden, Armut und Arbeitslosigkeit nehmen seit einigen Jahren wieder zu, nachdem es dem Chavismus lange gelungen ist, die wirtschaftliche Lage insbesondere der ärmeren Bevölkerungsschichten zu verbessern.
Die Krise in Venezuela hat auch auf Kolumbien als Nachbarland Auswirkungen. Der Schmuggel über die Landesgrenze (Benzin und Öl von Venezuela nach Kolumbien und Nahrungsmittel in umgekehrter Richtung) blüht und kriminelle Banden und Organisationen versuchen die institutionelle Schwäche beider Staaten auszunutzen. Der illegale Handel mit Waffen und Drogen nahm in den vergangenen Monaten stark zu. Während früher Menschen vor dem bewaffneten Konflikt in Kolumbien nach Venezuela flohen, wandern inzwischen Venezolaner auf der Suche nach Arbeit nach Kolumbien aus.
Gegen aussen geben sich die Regierungen Kolumbiens und Venezuelas betont freundlich und mischen sich nicht in die internen Angelegenheiten des Nachbarlandes ein. Bei internen Krisen wird der Sündenbock jedoch gerne auf der anderen Seite der Grenze gesucht. Solange dies nur auf verbaler Ebene geschieht, besteht jedoch kaum ein Konfliktrisiko. Gefährlich dabei ist jedoch, dass der amerikanische Präsident Trump versucht, Kolumbien in eine Interventionsstrategie zu Venezuela einzubinden. Sollte es den USA gelingen, Kolumbien in eine breite Allianz für einen Machtwechsel in Venezuela einzubinden, könnte aus der institutionellen Krise des Nachbarlandes bald ein Flächenbrand im nördlichen Südamerika werden.
http://internacional.elpais.com/internacional/2017/04/30/colombia/1493508791_544033.html
Umstrittener Entwurf für ein neues Landgesetz
Die ungleiche Landverteilung sowie der Zugang zu Land sind Hauptursachen für die bewaffneten Konflikte und Auseinandersetzungen in Kolumbien. So wurde im Friedensvertrag zwischen der Regierung Kolumbiens und den FARC auch eine Landreform vereinbart. Weniger als sechs Monate nach dem Inkrafttreten des Friedensabkommens stellte Präsident Santos im April 2017 einen Entwurf für ein neues Landgesetz vor.
Direkt im Anschluss haben kleinbäuerliche Organisationen den Gesetzesentwurf harsch kritisiert. Den Kleinbauern und Vertriebenen bringt der Entwurf nur wenig, Menschenrechtsorganisationen weisen darauf hin, dass auch Grossgrundbesitzer von der Formalisierung von Landtiteln profitieren könnten. Ende Mai 2017 wirft auch die FARC-EP der Regierung vor, mit dem Gesetzesentwurf das Friedensabkommen zu sabotieren.
IV. Tipps und Hinweise
Veranstaltungshinweis:
Swissaid präsentiert: Die Tschad AG
Ein korrupter Familienclan, Glencores Milliarden und die Verantwortung der Schweiz
13. Juni 2017, 18:15 – 20:00 Uhr, Hotel Bern, Zeughausgasse 9, 3011 Bern
Ask!: seit 30 Jahren eine Stimme für die Zivilgesellschaft Kolumbiens
Seit 30 Jahren informiert die Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien (ask!) unermüdlich zu Kolumbien und verleiht so der kolumbianischen Zivilgesellschaft eine Stimme in der Schweiz und in Europa. Dank dieser Informationsarbeit sind Politik, Medienschaffende und Gesellschaft in der Schweiz und Europa über die Anliegen der kolumbianischen Zivilbevölkerung informiert.
Zwischen dem 24. August und dem 23. September 2017 feiert die ask! ihr 30-jähriges Bestehen mit verschiedenen Veranstaltungen in Bern, Luzern und Zürich. Mehr dazu in unserem nächsten Newsletter. Werden Sie zum Jubiläum Mitglied der Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien oder unterstützen Sie unsere Informations- und Lobbyarbeit zugunsten der kolumbianischen Zivilgesellschaft mit einer Spende. Vielen Dank!
V. Lesenswerte Artikel
– Deutschland: umstrittene Kohleimporte aus Kolumbien: http://www.epo.de/index.php?option=com_content&view=article&id=13756:umstrittene-kohleimporte-aus-kolumbien-ngos-fordern-trennung-von-lieferanten&catid=269&Itemid=31
– Italiens Energieversorger Enel verzichtet auf Kohle aus Kolumbien: http://sostenibilidad.semana.com/medio-ambiente/articulo/drummond-y-prodeco-vetadas-por-paramilitarismo-y-derechos-humanos-en-italia/37764
– Armut, Gewalt und Drogen: ein unsicherer Frieden in Tumaco: http://www.razonpublica.com/index.php/conflicto-drogas-y-paz-temas-30/10229-tumaco-y-la-incertidumbre-de-la-paz.html
– Drogenhandel, organisierte Kriminalität und Korruption: ein Bericht aus dem Departement Valle del Cauca: http://www.razonpublica.com/index.php/politica-y-gobierno-temas-27/10220-el-valle-del-cauca-narcotr%C3%A1fico-crimen-y-corrupci%C3%B3n-primera-parte.html sowie http://www.razonpublica.com/index.php/politica-y-gobierno-temas-27/10257-el-valle-del-cauca-segunda-parte-pol%C3%ADtica-y-corrupci%C3%B3n-en-las-ciudades.html
– Massenmedien und Wahrheit in Kolumbien: http://www.razonpublica.com/index.php/economia-y-sociedad/10228-las-mentiras-oficiales-y-los-medios-de-comunicaci%C3%B3n-en-colombia.html
– Waldschutz in ehemaligen Konfliktgebieten: http://m.elcolombiano.com/conservacion-de-bosques-colombianos-en-el-posconflicto-FD6511733
Redaktion: Fabian Dreher