Liebe Leserinnen und Leser
Der Artikel dieses Monats widmet sich alten und neuen Verschwundenen aus dem Justizpalast. Der Monatsbericht zieht eine Zwischenbilanz vom Versuch, den Konflikt zwischen Regierung und FARC zu beenden.
Interessante Lektüre und solidarische Grüsse aus der Redaktion!
I. Artikel
Sterbliche Überreste der Verschwundenen aus dem Justizpalast gefunden
30 Jahre sind seit der Übernahme und der Rückübernahme des Justizpalastes vergangen. Ebenso lange sind elf Personen verschwunden. Nun sind die sterblichen Überreste von drei von ihnen gefunden worden, was aber neue Verschwundene impliziert. So werden einige Familien nach 30 Jahren endlich trauern können, bei anderen geht die Suche nach ihren Verschwundenen los. Damit teilen sie das Schicksal von Tausenden von Familien in Kolumbien.
(Von Regula Fahrländer)
II. Monatsbericht: Fährt FARC-Kommandant Timochenko bald mit dem Velo zum Fischen?
Ein Zwischenbericht über den Versuch, den bald 60-jährigen bewaffneten Konflikt zwischen Regierung und FARC zu beenden und die Herausforderungen rund um diesen Prozess
Die Feststellung, dass ein Abkommen nicht gleich Frieden bedeutet, ist wohl die weitverbreitetste Meinung in der kolumbianischen Bevölkerung. Von Friedenseuphorie im Land ist keine Rede. 60 Jahre schlägt nun das Pendel zwischen Krieg und gescheiterten Friedensverhandlungen aus. Die Sehnsucht nach Frieden bleibt. Die Skepsis ebenso. Doch ein Abkommen mit den FARC ist trotz allem der Weg in die richtige Richtung. Er wird aber sicher am 23. März 2016 nicht enden – zurzeit vereinbarter Unterschriftentermin –, viel mehr, er wird erst richtig beginnen.
(Von Peter Stirnimann)
III.Apropos
Stärkung der traditionellen Kräfte bei den Lokalwahlen
Am 25. Oktober fanden in Kolumbien Lokalwahlen statt, bei denen GouverneurInnen, BürgermeisterInnen, Stadt- und Gemeinderäte gewählt wurden. Dabei gingen 20 Millionen KolumbianerInnen wählen, 34 Millionen wären wahlberechtigt gewesen.
Generell geht die konservative Mitte als Wahlsieger hervor. Besonders die Partei vom Vizepräsident Germán Vargas Lleras, Cambio Radical, gewann in fünf Bezirken und zwei zentralen Städten. An der Karibikküste konnte die Partei ihren Einfluss stark ausdehnen. Schlecht abgeschnitten haben die Linken und die Grünen. Für sie ist es das schlechteste Wahlresultat der jüngsten Geschichte. Die rechtsradikale Partei Centro democrático von Álvaro Uribe hat nicht so hoch gewonnen, wie sie gepokert hat. Zwar konnte die Partei in einigen Regionen Terrain gewinnen, nicht aber in städtischen Gebieten. In Bogotá hat der frühere Stadtpräsident Enrique Peñaloso die Bürgermeisterwahlen nach 15 Jahren und sechs Kandidaturen erneut gewonnen. Damit verliert die Linke nach 12 Jahren die Hauptstadt.
Gegenüber den letzten vier Jahren wird der Anteil der Frauen in der Politik ab 2016 steigen. Es wird neu in Kolumbien 134 Bürgermeisterinnen und 5 Gouverneurinnen geben. Dies ist eine Zunahme von 12 respektive 17 Prozent. Dennoch gibt es viele Departemente, in denen keine einzige Frau gewählt wurde und in keiner der 32 Departementshauptstädte wird eine Frau an der Spitze sein. Aus diversen Regionen wurden Unregelmässigkeiten, Sicherheitsprobleme und Angriffe auf KandidatInnen gemeldet, vom Stimmenkauf wurde im grossen Ausmass berichtet. Auch die Verbindungen vieler KandidatInnen zum Paramilitarismus ist erneut ein weitverbreitetes Phänomen. Dies ist auch deshalb besorgniserregend, weil aus diesen Wahlen die regionalen Behörden hervorgehen, die ein eventuelles Friedensabkommen zwischen Regierung und FARC umsetzen werden.
Zwei neue Studien zu Kohleabbau, Bergbau und Menschenrechten
Die kolumbianische NGO Tierra Digna hat im Oktober zwei neue Studien zu Unternehmen und Menschenrechte respektive zu den Folgekosten des Kohleabbaus veröffentlicht. Die erste Studie mit dem Titel “Seguridad y Derechos Humanos ¿Para quién?: Voluntariedad y Militarización, estrategias de las empresas extractivas en el control de los territorios“ analysiert unter verschiedenen Blickwinkeln die Umsetzung der Leitsätze von John Ruggie in Kolumbien, und im Vergleich dazu die Umsetzung der Freiwilligen Prinzipien für Sicherheit und Menschenrechte sowie die mit dem Rohstoffabbau einhergehende Militarisierung und deren Folgen auf die Territorien von ethnischen Gemeinschaften und Kleinbauern. Insbesondere macht die Studie eine vertiefte Analyse über die Kooperationsabkommen mit den Sicherheitskräften für die Sicherheit der Unternehmen und schliesst auf deren Verfassungswidrigkeit.
Die zweite Studie trägt den Titel „El Carbón de Colombia: ¿quién gana y quién pierde? – Minería, Comercio Global y Cambio Climático“. Sie handelt von den Kohlenminen der Bergbaukonzerne Glencore, Drummond und Colombian Natural Resources (Goldman Sachs) im Departement Cesar und zeigt die Auswirkungen auf, die der Kohleabbau, der Transport und die Verschiffung der Kohle für die Region haben. Insbesondere werden die Umwelt-/Luftbelastung, der Wasserverbrauch und die Folgen für die menschliche Gesundheit dargestellt. Tierra Digna arbeitet dabei mit dem Konzept des Umwelt-Fussabdrucks (huella ambiental). Die Studie stellt einen Diskussionsbeitrag zur Debatte über Entwicklung, Klimawandel, und soziale und Umweltgerechtigkeit vor dem Hintergrund internationaler Verpflichtung dar.
Die Studien können unter folgenden Links heruntergeladen werden:
http://tierradigna.net/pdfs/INFORME-SEGURIDAD-Y-DERECHOS%20HUMANOS-TIERRA%20DIGNA_WEB.pdf
http://tierradigna.net/pdfs/informe-carbon.pdf
Kolumbien vor der Interamerikanischen Menschenrechtskommission
Vom 19. bis zum 23. Oktober fanden die öffentlichen Anhörungen während der 156sten Session der Interamerikanischen Menschenrechtskommission in Washington statt. Der kolumbianische Staat musste dabei während vier Anhörungen Rede und Antwort stehen. Organisationen der kolumbianischen Zivilgesellschaft haben die 70 ermordeten Bauernführer und Bauernführerinnen, die zwischen 2007 und 2015 gestorben sind, im Rahmen der Landrückgabe angeprangert. 40 davon seit das Opfer- und Landrückgabegesetz 2011 in Kraft trat. Dabei ging es auch um die Unwirksamkeit dieses Gesetzes. Die MenschenrechtsanwältInnen haben dabei vorgerechnet, dass, sofern es im selben Rhythmus wie während der ersten vier Jahrer des Gesetzes weitergeht, es noch weitere 529 Jahre dauern wird, bis der Landrückgabeprozess abgeschlossen ist. Darauf antwortete Ricardo Sabogal, Direktor der Einheit für Landrückgabe, das Gesetz werde erfolgreich umgesetzt und es wäre noch kein einziger Bauer gestorben, der auf sein Land zurückgekehrt sei. Unerwähnt liess er dabei, wie viele Familien tatsächlich zurückkehren konnten.
Weitere Themen an den Anhörungen waren die Opfer der sexualisierten Gewalt, die Reformen betreffend Sicherheitskräfte und die Diskriminierung gegenüber der Afrokolumbianischen Gemeinschaft.
http://www.oidhaco.org/?art=2096&lang=es
Oberster Staatsanwalt eröffnet Untersuchung gegen Iván Cepeda
Alejandro Ordóñez, der oberste Staatsanwalt, hat eine disziplinarische Untersuchung gegen den linken Politiker Iván Cepeda eingeleitet. Der Parlamentarier Cepeda soll Druck auf zwei festgenommene Paramilitärs, Ramiro de Jesús Henao alias Simón und Gabriel Muñoz Ramírez alias Castañeda, ausgeübt haben, damit sie gegen Ex-Präsident Uribe aussagen. Die Zeugenaussagen dieser beiden Paramilitärs wiederum sind Kernstück in der Debatte, die Cepeda im Kongress gegen Uribe auslöste und bei der es um dessen Zusammenarbeit mit dem Paramilitarismus während seiner Amtszeit geht.
Das Verfahren hat auch deshalb für viel Aufruhr gesorgt, weil ParlamentarierInnen im Kongress das Privileg haben, nicht für Gesagtes zur Verantwortung gezogen werden zu können. Laut Ordóñez gäbe es dennoch genügend Beweise, die eine Untersuchung rechtfertigen. Es seien etwa Geldsummen geflossen und bessere Haftbedingungen versprochen worden, falls sie gegen Uribe aussagten. Cepeda bestreitet vehement, dass die Zeugenaussagen gekauft seien. Für ihn ist klar, dass das Verfahren in Zusammenhang mit seinen Vorstössen gegen Uribe steht. Es sei äusserst suspekt, dass das Verfahren drei Jahre nach den besagten Gefängnisbesuchen eröffnet werde und dies von einem engen Bekannten Uribes. Diverse AnalystInnen führen das Verfahren auch auf die politische Haltung Cepedas und sein Mitwirken bei den Friedensverhandlungen zurück. Klar ist, dass damit der politisch-juristische Kampf Cepeda vs. Ordóñez erst in die erste Runde geht.
http://www.semana.com/nacion/articulo/alejandro-ordonez-el-proceso-en-contra-de-ivan-cepeda/447306-3
Informationsdiebstahl bei der Coordinación-Colombia Europa-Estados Unidos
Am 14. Oktober sind mittags zwei Personen in die Wohnung der Koordinatorin der Coordinación Colombia – Europa – Estados Unidos (CCEEU) Lourdes Castro eingebrochen, nachdem sie eine Angestellte bedroht hatten. Dabei wurden der Computer und andere Objekte auf dem Schreibtisch entwendet, nicht aber teurere Wertsachen. Deshalb ist davon auszugehen, dass gezielt Informationen auf dem Computer entwendet wurden, um an wichtige Daten der Menschenrechtsarbeit zu gelangen.
Die Anwältin Lourdes Castro sowie ihr Ehemann, ein Gewerkschaftsführer, sind beide anerkannte MenschenrechtsaktivistInnen. Es handelt sich um den fünften Informationsdiebstahl, der die Koordination der CCEEU in den letzten Jahren erlitt. In keinem der Fälle hat die Justiz die Untersuchungen ernsthaft vorangetrieben, noch Verantwortliche zur Rechenschaft gezogen. Deshalb äussert die CCEEU ihre Besorgnis über mangelnde Sicherheitsgarantien, um ihre Arbeit ausführen zu können. Der kolumbianische Staat wird dringend dazu aufgerufen, den Ereignissen nachzugehen, juristische Konsequenzen in die Wege zu leiten und vor allem wirksame Massnahmen zu unternehmen, um künftige Einbrüche und Übergriffe zu vermeiden.
http://coeuropa.org.co/?q=node/256
IV. Tipps und Hinweise
COLOMBJass Solidaritäts- Jass & Dog Turnier in Baar, Sonntag, 8. November 2015
Brunch: ab 10.00 Uhr; Jass & Dog Turnier: 12.30 -17.00 Uhr
Heilpädagogisches Schul-und Beratungszentrum Landhausstrasse 20, 6340
COLOMBJass Solidaritäts- Jassturnier in Bern, Sonntag, 22. November 2015
Brunch ab 10.00 Uhr, Jassturnier 12.00 – 17.30 Uhr
Aki Bern, Alpeneggstrasse 5, 3012 Bern
Die Erträge aus beiden Anlässe gehen zugunsten der Friedens- und Menschenrechtsarbeit in Kolumbien. Weitere Informationen und Anmeldungen unter:
http://www.askonline.ch/veranstaltungen/
Tocó cantar. Travesía contra el olvido
Das Centro de Memoria Histórica hat die CD “Tocó cantar. Travesía contra el olvido” zusammengestellt und veröffentlicht. Alle Lieder beziehen sich auf den bewaffneten Konflikt und die Realität in den verschiedenen Regionen Kolumbiens. Lokale und regionale KomponistInnen konnten sich dabei mit ihren Liedern bewerben, eine Jury bestimmte die 45 Lieder, die aufgenommen wurden. Angehört werden kann die Zusammenstellung unter folgendem Link:
http://www.centrodememoriahistorica.gov.co/discografia-toco-cantar
Fachtagung zur Konzernverantwortungsinitiative
Die im April 2015 lancierte Konzernverantwortungsinitiative verpflichtet Schweizer Unternehmen zu einer Sorgfaltsprüfung bezüglich Menschenrechten und Umwelt bei ihren Tätigkeiten im Ausland. Zudem sieht sie nach dem Modell der Geschäftsherrenhaftung eine Ausweitung der Haftung bei Menschenrechtsverletzungen vor. An der Fachtagung diskutieren RechtswissenschaftlerInnen über Umsetzung und Auswirkungen der Initiative.
Mittwoch, 2. Dezember 2015, 13 – 18.00 Uhr, Burgerratssaal Kulturcasino Bern, Kosten: CHF 50 / 25 (Nichtverdienende), Anmeldung unter http://konzern-initiative.ch/fachtagung/
Redaktion: Regula Fahrländer
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