Liebe Leserinnen und Leser
Im April kam es zur ersten Klage einer multinationalen Firma gegen den kolumbianischen Staat: Wir berichten über Glencores Klage gegen Kolumbien. Weiter beschäftigten uns der ungenügende Rechtsschutz und das hohe Gesundheitsrisiko für Frauen bei Abtreibungen. Ein Rückblick auf die UNO Sondersession zu Drogen UNGASS zeigt die grossen Konfliktlinien der aktuellen Drogenpolitik auf.
Solidarische Grüsse aus der Redaktion!
I. Artikel: Glencore klagt vor Weltbankschiedsgericht gegen kolumbianischen Staat
Am 16. März 2016 hat Glencore gegen den kolumbianischen Staat eine Klage gestützt auf dem bilateralen Investitionsschutzabkommen zwischen der Schweiz und Kolumbien eingereicht. Es handelt sich um eine der Hintergrund der Klage ist eine Busse bezüglich einer der Verträge über eine Bergbaukonzession für die Kohlenmine Calenturitas. Dieser Vertrag war 2010 zwischen der kolumbianischen Regierung und Glencore neu verhandelt worden. Das Ziel war, die Royalties, die Glencore dem kolumbianischen Staat bezahlen musste, zu reduzieren, und dafür im Gegenzug Investitionen in den Ausbau der Produktion zu tätigen. Der kolumbianische Rechnungsprüfungshof fand Unregelmässigkeiten bei diesem und anderen Abkommen und büsste Glencore, worauf das Unternehmen nun gegen den kolumbianischen Staat Klage erhob.
(von Stephan Suhner)
Abtreibung in Kolumbien – ungenügender Schutz der Rechte der Frauen
Vor 10 Jahren, am 10. Mai 2006, erliess das kolumbianische Verfassungsgericht ein Urteil, das den Schwangerschaftsabbruch in wenigen Ausnahmefällen erlaubt. Die Umsetzung des Gerichtsbeschlusses ist auch nach 10 Jahren ungenügend. Der Zugang betroffener Frauen zu medizinischer Hilfe ist stark erschwert, den Frauen fehlt es an Informationen über ihre Rechte und Möglichkeiten und die freiwillige Abtreibung steht noch immer unter Strafe. Illegale, unsachgemässe Abtreibungen sind die Folge und stellen ein hohes Gesundheitsrisiko für die Frauen dar. AktivistInnen fordern einen verbesserten Zugang zu medizinischer Behandlung, die Legalisierung der freiwilligen Abtreibung in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen und Beratungsangebote zu den Themen Sexualaufklärung, Verhütung und Adoption.
(von Cornelia Britt)
II. Monatsbericht: UNGASS 2016 – In kleinen Schritten weg von der Illusion der drogenfreien Welt
Vom 19.-21. April 2016 fand in New York die UNO Sondersession zu Drogen UNGASS 2016 statt. Ursprünglich erst für 2019 geplant, wurde die Session auf Druck von Staaten wie Kolumbien und Mexiko drei Jahre vorverlegt. Diese Länder, die besonders unter dem Drogenkrieg leiden, wollen eine Abkehr vom rigiden Prohibitionismus erreichen. Gerade die kolumbianische Regierung hat seit der letzten UNGASS 2008 einen bemerkenswerten Gesinnungswandel durchgemacht. UNGASS 2016 erfüllte die in sie gesetzten Hoffnungen aber nur teilweise: nur zögerlich fanden Schadensminderung, ein Fokus auf Gesundheitsaspekte oder die Verhältnismässigkeit der Strafen Eingang. Themen wie Entkriminalisierung des Konsums oder ein Verbot der Todesstrafe bei Drogendelikten waren chancenlos. Kritisiert werden von der Zivilgesellschaft auch die mangelnden Partizipationsmöglichkeiten und die abgewürgten Diskussionen. So wurde die Schlusserklärung am ersten Tag der Konferenz verabschiedet!
(von Stephan Suhner)
III. Apropos: Bewaffneter Streik der Paramilitärs
Anfangs Monat führte die paramilitärische Gruppierung „Clan Úsuga“ in mehreren Departementen Kolumbiens bewaffnete Streiks durch. In mindestens 36 Landkreisen im Norden Kolumbiens wurde das öffentliche Leben teilweise komplett lahmgelegt, Strassen gesperrt und Fahrzeuge verbrannt. Es kam zu mindestens fünf Toten. Vielerorts war es der Bevölkerung unter Todesandrohung nicht gestattet gewesen, ihren normalen Tätigkeiten nachzugehen. Gesundheitszentren, Schulen und Geschäfte blieben geschlossen, der öffentliche Verkehr wurde eingestellt. Seit Anfang Jahr haben sich Berichte über Aktivitäten von paramilitärischen Gruppen gehäuft. Gewalttaten (Drohungen, Morde, Attentate, Verschwindenlassen) gegenüber MenschenrechtsverteidigerInnen und Führungspersönlichkeiten sozialer und politischer Bewegungen haben zugenommen.
Santos ernennt neues „Kabinett des Friedens“
Kurz vor Abschluss der Friedensverhandlungen mit den FARC besetzt der kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos das 16-köpfige Kabinett neu. Von den sieben neuen MinisterInnen gehören zwei der politischen Opposition an. Der Grüne Jorge Londoño übernimmt zukünftig den Posten des Justizministers. Die grosse Überraschung war die Wahl von Clara López, Vorsitzende des Polo Democrático, ins Arbeitsministerium. Es ist das erste Mal in der Geschichte der linken Partei, dass ein Mitglied dieser Partei vom Präsidenten für einen Regierungssitz ernannt wird. Grosser Verlierer ist der Partido Liberal, der einen Sitz verliert. Es sei ein „Kabinett des Friedens für die Zeit nach dem Konflikt“, so der Präsident. Es wurden vermehrt VertreterInnen aus entlegenen Regionen Kolumbiens einbezogen und der Frauenanteil wurde von drei auf sechs Ministerinnen erhöht.
http://www.eltiempo.com/politica/gobierno/cambio-de-ministros/16572867
Kolumbianische Regierung bittet um Verzeihung für Massaker in Trujillo
In Anwesenheit von mehr als 600 Personen aus verschiedenen Regionen des Landes, sozialen Organisationen und MenschenrechtsverteidigerInnen entschuldigte sich die kolumbianische Regierung am 23. April an einem Gedenkanlass für das Massaker in Trujillo. Die Regierung übernahm die Verantwortung für das Massaker und entschuldigte sich am Ort für extralegale Hinrichtungen, Folter und das Verschwindenlassen von 76 Personen. Der Gedenkanlass fand im Rahmen eines Abkommens über eine freundschaftliche Lösung zwischen Kolumbiens Regierung und VertreterInnen der Opfer von Trujillo statt.
Als Massaker von Trujillo werden verschiedene Geschehnisse zwischen 1988-1994 bezeichnet, bei denen zwischen 245 und 342 Personen ermordet wurden. Verantwortlich dafür zeichneten Akteure der Polizei, des Militärs, regionaler Politiker und paramilitärischer Gruppen des Kartells Norte del Valle, welche gemeinsam handelten. Im Gedenkanlass wurde nur den 76 Opfern gedenkt, die juristisch anerkannt wurden. Das Abkommen lässt die Möglichkeit der Anerkennung weiterer Opfer im Verlauf des juristischen Prozesses offen.
Kolumbiens Verfassungsgericht gibt gleichgeschlechtliche Ehe frei
Das kolumbianische Verfassungsgericht hat sich am 4. April für die Ehe von Schwulen und Lesben ausgesprochen. Die Klage von vier gleichgeschlechtlichen Paaren wurde gutgeheissen, das Eheverbot mit sofortiger Wirkung für verfassungswidrig erklärt. Die Entscheidung des „Corte Constitucional de Colombia“ fiel mit sechs zu drei Stimmen. Begründet wurde die Entscheidung mit dem in der Verfassung verankerten Diskriminierungsverbot. Widerstand gab es nach wie vor beim Adoptionsrecht. Nach der Entscheidung feierten lesbische und schwule AktivistInnen vor dem Justizpalast in Bogotá, schwenkten Regenbogenfahnen und riefen „Gleiche Steuern, gleiche Rechte“. Kolumbien ist damit das fünfte Land Südamerikas, in dem gleichgeschlechtliche Paare heiraten können. Die Ehe ist bereits in Argentinien, Brasilien und Uruguay für homosexuelle Paare geöffnet. Ausserdem haben mehrere mexikanische Bundesstaaten gleichgeschlechtliche Paare im Eherecht gleichgestellt.
http://www.eltiempo.com/politica/justicia/corte-aprueba-matrimonio-homosexual/16557410
IV. Tipps und Hinweise: Friedensprozess und soziale Bewegungen – Veranstaltung mit Marylén Serna, Sprecherin vom Congreso de los Pueblos
Die sozialen Bewegungen in Kolumbien bereiten für 2016 breite Proteste vor: einen landesweiten Streik, der an den Agrarstreik von 2013 anknüpft. Ebenso fordern sie, dass die Bevölkerung in den Friedensprozess einbezogen werden muss, um Lösungen zu finden, die strukturelle Veränderungen ermöglichen. Über diese Themen berichtet Marylén Serna Salinas, Sprecherin des Congreso de los Pueblos und Vertreterin der Mesa social para la paz.
3. Mai 2016, 19 Uhr Casa d’Italia, Bühlstrasse 57, 3012 Bern
http://www.askonline.ch/veranstaltungen/
Redaktion: Cornelia Britt
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