Alexandra Huck und Christiane Schwarz, kolko e.V., Januar 2007
Das Konzept der Friedensgemeinden existiert in Kolumbien seit 1997. Es wurde aus dem Willen der Zivilbevölkerung geboren, sich nicht weiter in den seit mehr als 40 Jahren währenden bewaffneten Konflikt hineinziehen zu lassen. Drei Millionen Binnenflüchtlinge gibt es in Kolumbien mehr als 7% der Bevölkerung. Zumeist ist die Vertreibung eine Folge von gezielten Aktionen gegen die Zivilbevölkerung, die darauf abzielen, die Menschen zur Flucht zu treiben. Gekämpft wird in Kolumbien auch um Land und Ressourcen, und in dieser Logik wird Zivilbevölkerung, die über Land verfügt, zum Feind. Die Binnenflüchtlinge leben in den Elendsgürteln der Großstädte, verarmt, entwurzelt und oftmals weiterer Verfolgung ausgesetzt. Um diesem Schicksal zu entgehen, haben sich KleinbäuerInnen in Friedensgemeinden und ähnlichen Prozessen organisiert. In diesem Rahmen haben sie auch das Konzept der humanitären Zonen entwickelt. Die Gemeinden wollen auf ihrem Land bleiben und dort in Würde leben. Sie wohnen in Gegenden, die stark vom bewaffneten Konflikt und von gewaltsamer Vertreibung betroffen sind.
Die paramilitärischen AUC Gruppen und tragen die Hauptverantwortung für die millionenfache Vertreibung und haben sich so riesige Mengen Land illegal angeeignet. Guerilla-Gruppen gehen ebenfalls gegen die Zivilbevölkerung vor, um sich strategische Korridore zu sichern oder aus Rache für Kollaboration mit ihrem Gegner. Nach offiziellen Schätzungen haben sich die Gewaltakteure in Kolumbien 2,6 bis 6,8 Millionen Hektar Land illegal angeeignet.[1] In der Region Urabá im Nordwesten Kolumbiens beispielsweise gab es in den Jahren 1996 und 1997 massenhafte Vertreibungen, bei denen rund 20.000 Menschen aus ihren Dörfern vertrieben wurden. Bei gemeinsamen Operationen der XVII. Heeresbrigade und den illegalen paramilitärischen Gruppen wurde der Bevölkerung drei Tage Zeit gegeben, ihr Land zu verlassen, unter der Androhung, sie andernfalls zu töten. Einige Dorfbewohner wurden vor den Augen der gesamten Gemeinde ermordet.[2] Die Paramilitärs behaupteten, dass die Ermordeten der Guerilla Unterstützung gewährt hätten. Die Auseinandersetzung fand jedoch nicht mit der Guerilla statt, die Toten stellte vielmehr die Zivilbevölkerung.
Die Entstehung der Friedensgemeinden als Reaktion auf die Erfahrungen im bewaffneten Konflikt
Als Konsequenz aus dieser Erfahrung erklärte sich die Gemeinde San José de Apartadó im März 1997 als erste zur Friedensgemeinde. Ihr Ziel ist es, auf ihrem Land bleiben zu können. Zu den Prinzipien, die auf einem Schild am Dorfeingang erklärt werden, zählt: kein Gemeindemitglied trägt eine Waffe, niemand aus der Gemeinde gibt Informationen oder sonstige Unterstützung an bewaffnete Akteure. Von den bewaffneten Akteuren wird gefordert, den Dorfkern nicht zu betreten. Die Gemeinde fordert so ein, als Zivilbevölkerung respektiert zu werden. Von Anfang an war es entscheidend für die Friedensgemeinde, dass es vor allem international viel Aufmerksamkeit gibt, so dass Übergriffe zumindest internationale Verurteilungen nach sich ziehen. Eine wichtige Rolle kommt kolumbianischen Menschenrechtsorganisationen zu, die die Gemeinden dabei unterstützen, ihre Rechte zu kennen und einzufordern. Sie unterstützen bei Verhandlungen mit staatlichen Vertretern sowie bei der Herstellung der Kontakte mit internationalen Organisationen und Instanzen. Die Menschenrechtsorganisation „Justicia y Paz“ beispielsweise ist jedoch aufgrund dieses Engagements immer wieder zur Zielscheibe von Drohungen aber auch von Strafprozessen geworden.[3] Die internationale Begleitung wie durch die Peace Brigades International ist für mehrere Gemeinden eine bedeutende Unterstützung. Weitere Gemeinden organisierten sich nach ähnlichen Prinzipien, dazu gehören die Gemeinden im Flussbecken des Cacarica im Bundesstaat Chocó, die Gemeinde la Balsita in Antioquia sowie Gemeinden in der Gegend von Riosucio im Bundesstaat Chocó. Ab Juni 2001 errichteten die „Gemeinden für Selbstbestimmung, Leben und Würde“ im Cacarica-Becken humanitäre Zonen, ein Konzept, das bald auch von den Gemeinden in den Gegenden der Flüsse Curvaradó und Jiguamiandó übernommen wurde. Während die Gemeinden jeweils einen mehrere Tausend Hektar großen, kollektiven Landtitel besitzen, haben sie nur einen ganz kleinen Teil, in dem die Häuser stehen, durch einen Zaun oder durch Schnüre gekennzeichnet. Diese Abgrenzungen sind in keiner Weise geeignet, jemanden physisch am Eindringen in die humanitäre Zone zu hindern, vielmehr sollen sie zusammen mit den aufgestellten Schildern deutlich machen, daß dies der direkte Wohn- und Lebensbereich der Zivilbevölkerung ist, in dem keine bewaffneten Akteure geduldet werden: weder Guerilla noch Paramilitärs oder staatliche Streitkräfte.
Guerilla-Gruppen schreiten immer wieder zu Racheaktionen an der Zivilbevölkerung, wenn diese sei es freiwillig oder unfreiwillig mit staatlichen Streitkräften oder paramilitärischen Gruppen zusammenarbeiten. Ein kurzer Aufenthalt oder die Weitergabe von Informationen sind dafür häufig Vorwand genug. Angriffe der Guerilla auf Polizei- oder Militäreinheiten, die sich inmitten von Ortschaften befinden und die zu zahlreichen Opfern in der Zivilbevölkerung führen, gehören ebenfalls zu den völkerrechtswidrigen Praktiken der Guerilla. Die Erfahrung vieler Menschen in Urabá und anderen Landesteilen hat aber auch zu tiefem Misstrauen gegenüber den staatlichen Sicherheitskräften geführt, weil diese aufgrund ihres Verhaltens für die Gemeinden oftmals nicht einen Schutz sondern eine Bedrohung darstellen. Das trifft auch auf die Polizei zu, die in Kolumbien zu den Streitkräften gehört, und insbesondere auf dem Land auch so wahrgenommen wird. Übergriffe von Paramilitärs gegen Gemeinden werden durch sie nicht verhindert, paramilitärische Stützpunkte oder Verkehrskontrollen vielmehr offen von den Streitkräften toleriert. Die von den Sicherheitskräften an Verkehrskontrollpunkten erstellten Listen sind immer wieder als Todeslisten in den Händen der Paramilitärs aufgetaucht. Soldaten äußern Drohungen gegen Gemeinden und ihre Mitglieder, insbesondere gegen Gemeindeführer und begleitende Menschenrechtsorganisationen. Darüber hinaus versuchen die Soldaten beispielsweise Kinder auszuhorchen oder behaupten, dass Gemeindeführer und Menschenrechtsorganisationen die Gemeinde hintergehen und sich an ihr bereichern würden, um so die EinwohnerInnen zu spalten.
Das humanitäre Völkerrecht als Rückhalt für die Zivilbevölkerung
Die Gemeinden berufen sich auf das humanitäre Völkerrecht.[4] Dort ist zum Schutz der Zivilbevölkerung vorgesehen, dass die bewaffneten Akteure alle Handlungen unterlassen müssen, welche die Zivilbevölkerung unnötig in Gefahr bringen. Eine klare Unterscheidung zwischen Kombattanten und Zivilbevölkerung soll ebenfalls dem Schutz letzterer dienen. Auch die Präsenz von militärischem Gerät und Personal in unmittelbarer Nähe der Zivilbevölkerung, wenn sie damit Angriffe provoziert, muss in diesem Fall dazu gezählt werden. In der Logik des Krieges spielt es dabei keine Rolle, ob es sich bei einem Akteur um die legalen staatlichen Kräfte handelt oder um illegale Kräfte. Das zweite Zusatzprotokoll zu den Genfer Konventionen spricht daher von „am Konflikt beteiligten Parteien“ und richtet an sie Mindestforderungen. Damit soll in der ohnehin perversen Logik des Krieges wenigstens ein Mindestmaß an Schutz für die Zivilbevölkerung gewährleistet werden. Daneben berufen sich die Gemeinden zunehmend auch auf ihr Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung. Ebenso wie die Streitkräfte in den Städten nicht jederzeit ohne richterliche Anordnung und ohne Anlass die Häuser und deren Vorgärten betreten und benutzen dürfen, fordern auch die Menschen der Gemeinden die Respektierung ihrer Häuser sowie der sie direkt umgebenden Gärten und Höfe. Immer wieder hat es Verletzungen der humanitären Zonen und Friedensgemeinden gegeben, die vom bloßen Eindringen ins Dorf über Drohungen bis hin zu Massakern reichen. In San José de Apartadó wurde auf Anordnung von Präsident Uribe im März 2005 eine Polizeistation eingerichtet. Das empfand die Gemeinde als derartig bedrohlich, daß sie das Dorf verließ und in einiger Entfernung ein neues Dorf aufbaute, in dem sie gemäß ihrer Prinzipien ohne Präsenz der staatlichen Streitkräfte leben kann. Eine ähnliche Erfahrung machten die Menschen in Cacarica im Jahr 2004, die nach monatelang andauernder Militärpräsenz im Dorf ebenfalls ihre Sachen packten und das Dorf an anderer Stelle neu aufbauten.
Die Bemühungen der Gemeinden, ihre Rechte einzufordern haben die Anerkennung mehrerer internationaler Instanzen gefunden. Die interamerikanische Menschenrechtskommission und der interamerikanische Menschenrechtsgerichtshof haben hinsichtlich mehrer Gemeinden die kolumbianische Regierung verpflichtet, Maßnahmen zu deren Schutz zu ergreifen und dabei die humanitären Zonen als positiv für den Schutz der Gemeinden gewürdigt. Darüber hinaus verpflichteten sie die Regierung, Schutzmaßnahmen grundsätzlich in Abstimmung mit der Gemeinde vorzunehmen.[5] Der UN-Sonderbeauftragte für gewaltsame Vertreibung Walter Kälin hat nach seinem Kolumbienbesuch im Jahr 2006 in einer Pressemitteilung darauf hingewiesen, dass „der fehlende Respekt bewaffneter Akteure für den zivilen Charakter betroffener Gemeinden und deren Neutralität“ ein zentrales Problem ist.
Die Gemeinden protestieren nicht gegen die Präsenz von Polizei oder Militär außerhalb des Dorfes. Da es sich um recht kleine Dörfer handelt ist daher auch der vielfach geäußerte Vorwurf, sie wollten ein Territorium ohne staatliche Präsenz errichten, nicht plausibel.[6] Die zivile Präsenz des Staates wird von ihnen vielfach eingefordert ebenso wie die Bestrafung der Täter der zahlreichen Übergriffe. Die Gemeinden stehen in aller Regel in vielfältigem Kontakt mit staatlichen Instanzen, um über die konkrete Verwirklichung ihrer Rechte zu sprechen. Aufgrund des paramilitärischen Einflusses auf lokale Institutionen werden meist Kontakte auf nationaler Ebene gesucht. Die Zusammenarbeit mit der kolumbianischen Justiz wurde von der Friedensgemeinde San José de Apartadó ausgesetzt. Nachdem sie jahrelang Aussagen über Übergriffe gemacht hatte, ist es zu keiner Verurteilung von Tätern, jedoch zur Ermordung mehrere Zeugen aus der Gemeinde gekommen. Dennoch war die Regierung nicht bereit zu einer wirklich unabhängigen Auswertung der eingesetzten Untersuchungskommission, was für die Gemeinde grundlegend für die Wiederaufnahme der Zusammenarbeit ist.
Von staatlicher Seite werden die Gemeinden immer wieder angefeindet, selbst von höchster Stelle: Präsident Uribe hat die Friedensgemeinde San José de Apartadó am 20. März 2005 in einer im Fernsehen übertragenen Ansprache bezichtigt, die Guerilla zu unterstützen. Im Rahmen von Ermittlungen gegen die Gemeindeführer aus dem Curvaradó- und Jiguamiandó – Flusstal wurden Haftbefehle gegen viele von ihnen ausgestellt.[7] Präsident Uribe hatte zuvor schon an anderer Stelle davon gesprochen, dass es in Kolumbien keinen bewaffneten Konflikt gäbe (sic!), dass niemand neutral sein könne, sondern es nur entweder Patrioten oder aber Unterstützer von Terroristen gäbe. Für das Ringen der Zivilbevölkerung um die Respektierung des humanitären Völkerrechtes und für ein Leben in Frieden ist in dieser Logik kein Platz.
…………..
1. El Tiempo, Bogotá 16. Juni 2006. Schätzungen von NRO sprechen von bis zu 7 Millionen ha.
2. vgl. amnesty international: Colombia. Return to Hope. Juni 2000.
3. vgl. amnesty international: Colombia: Fear and Intimidation: The dangers of human rights work. September 2006.
4. Genfer Konventionen und Zusatzprotokolle
5. Resolution des Interamerikanischen Gerichtshofes, 15.03.2005, Medidas Provisionales Respecto de la Republica de Colombia, zu San José sowie zu den Gemeinden aus Curvaradó/ Jiguamiandó sowie vorhergehende Entscheidungen.
6. Es handelt sich um recht kleine Dörfer mit bis zu maximal 1.000 EinwohnerInnen pro Dorf.
7. In ihrem Bericht über Menschenrechtsverteidiger verweist amnesty international im Kapitel „Unfounded investigations against human rights defenders“ auf die Ermittlungen gegen die Gemeindemitglieder und die sie begleitende Organisation „Justicia y Paz“.