Gilberto LÓPEZ Y RIVAS, übersetzt von Einar Schlereth, überprüft von Fausto Giudice
Zwischen dem 24.Februar und dem 11. März 2009 hat die Ethik-Kommission gegen die Staatsverbrechen in Kolumbien ihre sechste Reise durchgeführt. Die Kommission ist eine Initiative der internationalen zivilen Gesellschaft mit der Aufgabe, sowohl das kollektive Gedächtnis der Opfer zu bewahren als auch an ihrem Prozess der Anklage, des Widerstands und der Ehrenrettung teilzunehmen mit dem Hintergedanken, dass „die Stimmen der zum Schweigen Verurteilten gehört werden müssen“.
Bei dieser Gelegenheit hat die Ethik-Kommission nicht nur das einheimische Volk der Embera und Afro-Abkömmlinge aus dem Einzugsbereich des Flusses Jiguamiandó zur Ersten Beratung der Völker (Primera Consulta de los Pueblos) begleitet und Besuche in den Departements Sucre und Putumayo abgestattet, sondern auch dem Treffen mit Angehörigen von Opfern aussergerichtlicher Hinrichtungen beigewohnt, das am 5. und 6. März stattfand. Sie hörte zahlreiche Zeugenaussagen von aussergerichtlichen Hinrichtungen – fälschlicherweise „falsos positivos“ (falsche Erfolgsmeldungen[1]) genannt – und Analysen von Organisationen der Bewegung der Opfer von Staatsverbrechen, die diesen Prozess begleiten mit dem Ziel, die Fakten in ihren Zusamenhang zu stellen. Da zahlreiche Angehörige aus den verschiedenen Regionen des Landes kamen, stellten sie ein höchst repräsentatives Bild der nationalen Situation dar.
Hunderte Morde sind im ganzen Land verübt worden, die dem Muster gewaltsamen Verschwindens und aussergerichtlicher Hinrichtungen folgten; beides wird als staatliches Verbrechen gegen die Menschlichkeit betrachtet, verübt von Mitgliedern der kolumbianischen Streitkräfte und/oder ihren paramilitärischen Einheiten in einer systematischen und weit verbreiteten Weise. Diese ernsten Vergehen begannen vor geraumer Zeit und haben sich exponentiell unter der Amtsführung von Präsident Álvaro Uribe Vélez weiterentwickelt in Folge der Praxis der sogenannten Politik der „Demokratischen Sicherheit“ und seit der Umsetzung des Plan Colombia, sodass die Opfer als „Verluste im Kampf“ dargestellt werden konnten, um ökonomische Belohnung und sowohl Anerkennung als auch Beförderungen zu erhalten, wie sie wiederholt persönlich vom Oberbefehlshaber der Streitkräfte erteilt wurden.
Diese abnormen Praktiken werden als „Resultate“ des Counterinsurgency-Krieges[2] dargestellt, um die durch den Plan Colombia erhaltene Unterstützung zu rechtfertigen und um das kolumbianische Strafrecht. die Genfer Konvention, die Internationalen Menschenrechte und insbesondere die Amerikanische Konvention der Menschenrechte umgehen zu können.
Die aussergerichtlichen Hinrichtungen folgen einem vorgegebenen Muster: junge Männer, nicht älter als 35 Jahre, die zu den niedrigsten und am meisten vernachlässigten Unterschichten gehören, mit einem bedeutenden Anteil von Bauern oder aus den Vorstädten, die als „überflüssig“ angesehen werden. Dieses Muster umfasst auch behinderte Menschen sowie junge Leute, die als eine potentielle oder wirkliche Opposition zum Regime angesehen werden, weshalb wir Grund haben, diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit als eine Politik der „sozialen Säuberung“ zu bezeichnen, vergleichbar den Praktiken der abscheulichen faschistischen Regime des vorigen Jahrhunderts. Man kann sagen, ohne jede Rethorik und angesichts der tragischen Ausmaße für das kolumbianische Volk, dass die Uribe-Regierung das Staatsverbrechen zur Politik des Staates gemacht hat.
Straflosigkeit ist das übliche Charakteriskum dieser Verbrechen, für die die Täter nie in Untersuchungshaft kommen, geschweige denn verurteilt oder bestraft werden. Die kolumbianischen Behörden mit ihren drei Zweigen sowie die Ämter staatlicher Kontrolle wie die Staatsanwaltschaft als auch die Ämter, die angeblich die Menschenrechte verteidigen und bewahren sollen, haben als Komplizen agiert, durch Unterlassung oder im Auftrag, während die grossen Medien zum grössten Teil ein Echo der offiziellen Versionen der üblen Akte sind, wenn sie nicht einfach vollständig diese schweren Übertretungen verschweigen oder maskieren ebenso wie die Hauptverantwortlichkeit des kolumbianischen Staates.
Der Mut der Familien der Opfer, die auf die Strasse gingen, zusammen mit Teilen der Öffentlichkeit und unter der Beobachtung der Ethik-Kommission ist erstaunlich. Sie demonstrierten ihre tiefe Empörung vor dem Verteidigungsministerium und der Generalstaatsanwaltschaft am 6. März, trotz der Drohungen und reellen Gefahren, die sie in einem Lande laufen, wo kein Recht herrscht, und wo dessen Institutionen im Dienst des Staatsterrorismus stehen.
Die Ethik-Kommission befürwortete die Forderung der ”Bewegung der Opfer der Staatsverbrechen”, dass im Fall von aussergerichtlichen Hinrichtungen ein spezielles Team gebildet werde, das innerhalb des Menschenrechts-Büros der Generalstaatsanwaltschaft in Bogota gebildet werden solle, um eventuelle Einmischung zu vermeiden, die angesichts des Status und Einflusses der Untersuchten – an den Orten, wo die Vorfälle stattfinden – die Unparteilichkeit der Untersuchungen beeinflussen könnten.
Die Kommission hat auch auf die umfassende Militarisierung hingewiesen, die in allen Departements Kolumbiens sichtbar und evident ist durch zahllose Strassensperren, häufiges Verlangen der Ausweise, Behinderungen der Bewegungsfreiheit der Menschen, Hubschrauber-Überflüge, Militärbaracken und -installationen innerhalb von Orten, erzwungene und beschleunigte Rekrutierungen (eine Einberufung in jedem Sinne des Wortes), Prostitution von Mädchen und Teenagern, ständige Truppenbewegungen auf den Landstrassen und durch die Dörfer, eine militärische Präsenz im täglichen Leben der Zivilbevölkerung (in Geschäften, Wohnhäusern, Gehöften usw.) und die Erhaltung und Umschulung der Paramilitärs, was alles zusammen die Normalität und Sicherheit der Menschen beeinflusst und eine klare Verletzung der internationalen Menschenrechte darstellt. Dies ist die Dantische Realität Kolumbiens, die Álvaro Uribe Vélez so stolz als nachahmenswertes Modell präsentiert, und das die Ultra-Rechte unter allen Umständen dem restlichen Lateinamerika mit Hilfe ihrer Mentoren in den Vereinigten Staaten aufzwingen möchte.
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Quelle: La Jornada – Los crímenes de Estado de Álvaro Uribe Vélez
Originalartikel veröffentlicht am 20.3.2009
Einar Schlereth und Fausto Giudice sind Mitglieder von Tlaxcala, dem Übersetzernetzwerk für sprachliche Vielfalt. Diese Übersetzung kann frei verwendet werden unter der Bedingung, daß der Text nicht verändert wird und daß sowohl der Autor, der Übersetzer, der Prüfer als auch die Quelle genannt werden.
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1. „Falsos positivos“ sind im militärischen Sprachgebrauch im Gefecht gefallene Personen, die seitens der Armee bewusst falsch als Mitglieder krimineller bzw. terroristischer Gruppen ausgegeben werden, um die Statistiken der Politik der „demokratischen Sicherheit“nach oben hin zu verfälschen Schon seit vielen Jahren gibt es immer wieder derartige Fälle, in denen vôllig unbeteiligte Personen liquidiert werden, um die Erfolgsstatistik des jeweiligen Soldaten bzw. der Einheit aufzubessern. Für diese Hinrichtungen bekommen die Soldaten Kopfgelder. (AdÜ)
2. Counterinsurgency (Konterrevolutionärer Krieg) ist die Antwort der US-amerikanischen Armee auf revolutionäre Volkskriege und Guerillas, in der es hauptsächlinch um die Gewinnung und Kontrolle der Bevölkerung geht, um den Aufständischen (dem Fisch) „das Wasser zu entziehen“. Counterinsurgency-Taktiken wurden in Indokina, im Iraq und im Afghanistan eingesetzt. (AdÜ)