Reporter ohne Grenzen fordert die Regierung Kolumbiens zur umfassenden Reform ihres Programms zum Schutz gefährdeter Journalisten auf. 15 Jahre nach seinem Start hat sich das Programm als ineffektiv und mangelhaft erwiesen und geht an den Bedürfnissen der Journalisten in einem der gefährlichsten Länder des amerikanischen Kontinents vorbei.
„Dieses Programm könnte einen entscheidenden Beitrag zur besseren Verwirklichung der Pressefreiheit leisten und damit auch helfen, einen möglichen Friedensschluss in der kolumbianischen Gesellschaft zu verankern“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Nötig ist auch eine wirksame Strafverfolgung von Angriffen auf Journalisten, die in Kolumbien bislang völlig vernachlässigt wird.“
Zwei Berichte analysieren Funktionsweise und Mängel des staatlichen Schutzes
Im Rahmen einer gemeinsamen Kampagne haben ROG, der Kolumbianische Journalistenverband (Federación Colombiana de periodistas, FECOLPER) und die in Bogotá ansässige Stiftung für Pressefreiheit (Fundación para la Libertad de Prensa, FLIP) das vor 15 Jahren gestartete Schutzprogramm in zwei ausführlichen Berichten untersucht. Der Bericht von ROG und FECOLPER beleuchtet auf der Grundlage von Interviews mit 104 Journalisten, die staatlichen Beistand erhalten haben, die Funktionsweise des Schutzmechanismus sowie die Arbeits- und Lebensumstände der Betroffenen. Der FLIP-Bericht analysiert, wie sich das Programm seit seinem Beginn verändert hat, sowie seine Finanzierung, Ergebnisse und Fehler.
Zu den vielen Problemen des Schutzprogramms gehören demnach unzureichende finanzielle Mittel, Korruption, Fehlentscheidungen, Probleme bei der Einschätzung von Gefährdungen und der Wahl geeigneter Gegenmaßnahmen sowie sachlich nicht gerechtfertigte Verzögerungen. Auch konzentriere sich das Programm zu einseitig auf Schutz und sicheres Geleit für die Betroffenen, ohne sich auch für Gewaltvorbeugung sowie für eine effektivere juristische Verfolgung der Drohungen und Angriffe gegen Journalisten einzusetzen.
KONKRETE REFORMVORSCHLÄGE
ROG, FECOLPER und FLIP haben deshalb eine Reihe von Empfehlungen zur Reform des Programms erarbeitet. So sollte die Regierung:
– die Konzepte und Methoden zur Gefährdungseinschätzung und Wahl geeigneter Schutzmaßnahmen überarbeiten;
– die Verantwortlichkeiten reorganisieren, um schnelle und angemessene Antworten auf die Gefährdung von Journalisten zu gewährleisten;
– die Personenschützer der Nationalen Schutzstelle (Unidad Nacional de Protección, UNP) schulen, um ihre Sensibilität für mögliche Konflikte ihrer Arbeit mit der Pressefreiheit zu erhöhen;
– die Beteiligung des Justizministeriums am Schutzprogramm sicherstellen, um die Strafverfolgung von Drohungen gegen Journalisten zu verbessern; und
– das Programm so umgestalten, dass es nicht nur auf Bedrohungen reagiert, sondern auch vorbeugend gegen Risiken und für ein sicheres Arbeitsumfeld von Journalisten tätig wird.
VERHAFTUNGEN IN NUR EINEM VON 388 FÄLLEN
Seit dem Jahr 2000 wurden in Kolumbien mindestens 58 Journalisten ermordet (http://bit.ly/145PpJz). Mit Drohungen und Gewalt muss etwa rechnen, wer unliebsame Informationen über mächtige Lokalpolitiker veröffentlicht. Auch paramilitärische Gruppen wie Los Urabeños oder Aguilas Negras haben Journalisten wiederholt zu „militärischen Zielen“ erklärt. In vielen Fällen greifen die vorhandenen Schutzmechanismen nicht. So hatte der im Februar ermordete Luis Peralta, Besitzer eines kritischen Lokalradiosenders, eine Woche vor seiner Ermordung über Drohungen berichtet (http://t1p.de/o3p8).
Der FLIP-Bericht kommt nun zu dem Ergebnis, dass das staatliche Schutzprogramm mit zunehmender Komplexität immer weniger wirksam geworden sei. Von 388 Drohungen gegen Journalisten, die das Justizministerium zwischen dem Jahr 2000 und Mitte August 2014 registriert habe, seien nur in einem einzigen Fall die Verantwortlichen verhaftet worden.
In dem Bericht von ROG und FECOLPER beklagen einige Journalisten, die staatlichen Beistand erhalten haben, sie hätten etwa für Reparaturen an den Fahrzeugen aufkommen müssen, die zu ihrem Schutz abgestellt wurden; ihre Auslagen dafür seien ihnen niemals erstattet worden. FECOLPER-Präsidentin Adriana Hurtado betonte, es dürfe nicht die Aufgabe der betroffenen Journalisten sein, für das Funktionieren des staatlichen Schutzprogramms zu sorgen. Die für Risikoprüfung und konkrete Schutzmaßnahmen zuständige UNP dürfe eigenes Versagen nicht auf Abstimmungsprobleme zwischen den beteiligten Behörden oder auf Verfehlungen einzelner Mitarbeiter schieben.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Kolumbien auf Platz 128 von 180 Staaten. Weitere Informationen zur Lage der Journalisten in dem Land finden Sie unter www.reporter-ohne-grenzen.de/kolumbien/.
Bericht von ROG und FECOLPER als pdf zum download (Spanisch):
150800_Actividad_periodistica_en_riesgo_-_RSF_e_FECOLPER
Bericht von FLIP als pdf zum download (Spanisch):
150800_Actividad_periodistica_en_riesgo_-_RSF_e_FECOLPER