Liebe Leserinnen und Leser
Mit dem nationalen Tag der Menschenrechte in Kolumbien begann eine Welle von Todesdrohungen an Menschenrechtsverteidiger und –verteidigerinnen. In der Guajira ist Las Casitas von der Enteignung bedroht und im Monatsbericht erzählt Vicenta Moreno von der dreifachen Diskriminierung der armutsbetroffenen, schwarzen Frauen in Cali.
Gute Lektüre und solidarische Grüsse aus der Redaktion!
I. Artikel
Zuspitzung der Sicherheitslage für Menschenrechtsverteidiger und Menschenrechtsverteidigerinnen
Am 9. September feierte Kolumbien den nationalen Tag der Menschenrechte. Die Ironie des Schicksals wollte es, dass 88 Menschen, die sich für die Menschenrechte einsetzen, am Vortag eine Morddrohung erhielten. Seither spitzt sich die Situation zu. Es kam zur Ermordung dreier Führungspersonen, zu Verfolgungen, Informationsdiebstahl und weiteren Morddrohungen. MenschenrechtsaktivistInnen gehen von einem direkten Zusammenhang mit den Friedensverhandlungen aus.
(Von Regula Fahrländer)
Las Casitas droht gewaltsame Enteignung
Am 11. September 2014 hat das Kohleunternehmen Cerrejón einmal mehr einer umzusiedelnden Gemeinschaft mit der Enteignung gedroht. Diesmal trifft es Las Casitas. Bei unserem Besuch in der Guajira Anfang August dieses Jahres erfuhren wir von BewohnerInnen von Las Casitas wie auch von den anderen schon umgesiedelten Gemeinschaften verschiedenste Klagen über die Probleme in den Umsiedlungsprozessen.
(Von Stephan Suhner)
II. Monatsbericht: „Wir wissen, bei wem wir unsere Toten einklagen!“
Im folgenden Artikel gehen Vicenta Moreno, die Leiterin des Kultur- und Begegnungszentrums El Chontaduro in der kolumbianischen Grossstadt Cali, und Ofir Muñoz auf die Gewaltsituation im Distrikt Aguablanca ein. Sie zeigen die strukturellen Ursachen von Gewalt auf und wehren sich gegen stereotype Zuschreibungen und die Ethnisierung von Gewalt.
(Von Ofir Muñoz V. und Vicenta Moreno, übersetzt, gekürzt und redigiert von Bruno Rütsche)
http://www.askonline.ch/publikationen/monatsberichte/wir-wissen-bei-wem-wir-unsere-toten-einklagen/
III. Apropos
Armut und Unsicherheit im Choco spitzen sich zu
Die Ombudsstelle für Menschenrechte, die Defensoría del Pueblo, hat mit einem neuen Bericht auf die horrenden Zustände im Departement Chocó aufmerksam gemacht. Zum einen sei die Expansion der Minenaktivität besorgniserregend, zum anderen die Zunahme der Territorialkontrolle seitens der Guerilla und der Urabeños. Diese führte 2014 bereits zu drei massiven Vertreibungen von insgesamt 3‘311 internen Vertriebenen. Zudem erreicht das Ausmass der Armut im Chocó fast 70% der Gesamtbevölkerung und die Wasserverschmutzung aufgrund des Rohstoffabbaus sei signifikant und gerade in einer Region, die an und von den Flüssen lebe, alarmierend.
Der Bericht macht auch besonders auf die Situation der Kinder und Jugendlichen aufmerksam. Sie leiden im nationalen Vergleich besonders an Unterernährung und fehlenden sanitarischen und medizinischen Einrichtungen. Betroffen sind Kinder und Jugendliche im Chocó zudem von Zwangsrekrutierungen aller illegaler Gruppierungen und Ausbeutung zwecks Drogenhandel.
Minenunternehmen müssen indigenes Gebiet verlassen
Erstmals hat ein Gericht in Kolumbien die Regierung angewiesen, Bergbauunternehmen, die Gold im Nordwesten von Kolumbien abbauen, aus der Region zu verweisen. Das Land der indigenen Gemeinde der Embera Katío müsse zurückgeben werden. Die Gemeinde war durch die Bergbauaktivitäten und bewaffneten Konfrontationen vertrieben worden. In der Region sind sowohl linke Guerillagruppen wie auch ultrarechte Paramilitärs, kriminelle Banden und Soldaten der kolumbianischen Streitkräfte aktiv.
Wie das Internetportal für Lateinamerika und die Karibik „Nodal“ unter Bezugnahme auf eine Meldung der Nachrichtenagentur Reuters berichtet, betrifft das Urteil vom vergangenen Donnerstag fast 1.500 Familien mit mehr als 7.000 Menschen. Sie bewohnten 50.000 Hektar im Verwaltungsbezirk Bagado im Departement Chocó.
Weiterlesen unter: https://amerika21.de/2014/09/107988/minen-indigenes-gebiet
Unterkommission für Geschlechterfragen im Friedensdialog
Die UnterhändlerInnen der FARC und der Regierung haben im Friedensdialog auf Kuba eine Unterkommission für Geschlechterfragen gegründet. Diese Kommission, zusammengesetzt aus zehn nationalen und internationalen SpezialistInnen, soll sich der Gleichheit der Geschlechter und der Situation der Frauen im speziellen annehmen. Ziel dabei ist es, die Verbesserung der Situation der kolumbianischen Frauen als zentrales Anliegen in einem Kolumbien ohne Kriegshandlungen zu anerkennen. Denn nebst Diskriminierung und Ausbeutung im Alltag werden die Kolumbianerinnen auch Opfer einer Vielfalt von Gewalt (siehe unten).
Bis anhin war die Geschlechterproblematik kein grosses Thema am Verhandlungstisch. Während des ersten Jahres der Verhandlungen sassen gar nur Männer am Verhandlungstisch, danach entsandte die Regierung zwei Frauen.
Harter Arbeitskonflikt und Drohungen gegen Gewerkschafter von Dienstleistungsfirmen von Glencore und Cerrejón
Das Dienstleistungsunternehmen Dimantec LTDA arbeitet im Auftrag von Gecolsa – Caterpillar in den Bergbaubetrieben von Cerrejón, Prodeco – Glencore und Drummond und wartet die Caterpillarmaschinen. Diese Temporärarbeiter haben prekäre Arbeitsverhältnisse (nur 1/3 des regulären Lohnes, schlechtere Sozialleistungen, keine Arbeitsplatzstabilität etc.) und dürfen sich vielfach nicht gewerkschaftlich organisieren. Die Gewerkschaft Sintraime konnte jedoch am 13. Dezember 2013 dem Unternehmen Dimantec Ltda einen Forderungskatalog unterbreiten, worauf sich Dimantec aber bis im März 2014 weigerte, Verhandlungen aufzunehmen. Da danach innerhalb der ordentlichen Verhandlungsfrist kein Ergebnis erzielt werden konnte, traten die Arbeiter von Dimantec am 9. Juli 2014 in den Streik. Vom ersten Tag an behinderte Dimantec die freie Ausübung des Streiks und zwang die Mehrheit der Arbeiterschaft, gegen den Streik zu stimmen, so dass dieser am 18. August 2014 aufgehoben wurde und damit wesentliche Gewerkschaftsrechte verletzt wurden. Während des ganzen Streiks kam es zudem zu massivsten Todesdrohungen gegen die am Streik beteiligten Gewerkschaftsführer.
Unsichtbare, intraurbane Zwangsvertreibungen
Laut einem neuen Bericht von Codhes, unterstützt vom UNHCR, nimmt das Phänomen von intraurbanen Zwangsvertreibungen in Kolumbien zu. Alleine im Distrikt von Bogotá sind zurzeit 2‘524 Fälle registriert, und es muss von weit höheren Dunkelziffern ausgegangen werden. Dies, weil sich viele Betroffene nicht bewusst sind, dass sie erneut Opfer einer Menschenrechtsverletzung geworden sind.
Das Phänomen ist auf Dynamiken von Gewalt und Kontrolle in marginalen und peripheren Vierteln der Grossstädte zurückzuführen. Illegale Gruppierungen, viele mit paramilitärischen Strukturen, nutzen die Abwesenheit des Staates, um die soziale und wirtschaftliche Kontrolle zu haben. Diese Problematik nimmt mit der Wiedereingliederung von einstigen Paramilitärs zu. Die vom Staat angebotenen Alternativen für das Bestreiten des Lebensunterhaltes sind nicht lukrativ genug, und die illegalen Gruppierungen erleben einen Aufschwung. Dies führt zu Folgeproblematiken, wie Vertreibungen von Familien, die ihre Kinder vor Zwangsrekrutierungen schützen wollen.
http://www.elespectador.com/noticias/bogota/el-desplazamiento-invisible-articulo-516478
http://www.acnur.org/t3/uploads/media/9609.pdf?view=1
Dramatisches Ausmass an Frauenmorde in Kolumbien
Der Gerichtsmedizin zufolge sind im Jahr 2014 bis August 637 Kolumbianerinnen eines gewaltsamen Todes gestorben. Dies sind zwar 2% weniger verglichen mit derselben Periode des Vorjahres, jedoch sei auch klar ersichtlich, dass die Frauenmorde in Kolumbien zunehmen, also die Morde, die auf das Geschlecht des Opfers zurückzuführen sind. Von den 637 Fällen stehen 83% in Zusammenhang mit der Diskriminierung unter der Frauen in Kolumbien leiden, 83 der Morde seien aus purem Hass an Frauen geschehen. Vor allem aber ragt Kolumbien im internationalen Vergleich besonders heraus. Zum Vergleich werden Zahlen der UNO aus anderen Ländern herbeigezogen. So wurden etwa in Argentinien im ganzen Jahr 2012 119 Frauenmorde registriert, in Ecuador 234. Laut der UNO sind weltweit in 38% der Frauenmorde die Lebenspartner die Täter.
IV. Tipps und Hinweise
ColombJass – Sonntagsbrunch und Soli-Jassturnier für Kolumbien am 16. November 2014
Die Regionalgruppe Bern der ask! organisiert ein Solidaritäts – Jassturnier mit tollen Preisen, wobei die Erträge aus dem Anlass zugunsten der Friedens-und Menschenrechtsarbeit in Kolumbien gehen.
Brunch ab 10.00 Uhr, Jassturnier 12.30 – 17.00 Uhr. Aki Bern, Alpeneggstrasse 5, 3012 Bern
Mehr Information unter http://www.askonline.ch/veranstaltungen/, Anmeldung empfohlen an region.bern@askonline.ch (Teilnehmerzahl ist beschränkt).
„Bodenschätze: Landvertreibung“. Eine Reise nach Kolumbien.
„Bodenschätze: Landvertreibung“ ist eine Kombination aus Reportage und Sachbuch, gespickt mit Anekdoten und persönlichen Eindrücken vom Aufenthalt in den Gemeinden Las Pavas und El Garzal im Magdalena Medio und in El Hatillo in der Provinz Cesar.
Von Jann Duri Bantli. Verlag Edition 8. Ab sofort erhältlich.
Information und Bestellung: http://www.edition8.ch/buch/bodenschatze-landvertreibung/
Buenaventura – Eine Stadt in einer humanitären Krise
Ein informatives Video, in englischer Sprache, über die katastrophale Situation in Buenaventura und die Gründung einer humanitären Zone inmitten der Stadt.
https://www.youtube.com/watch?v=IntwMIHTEOA
Redaktion: Regula Fahrländer
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