Die Zivilgesellschaft fordert das Recht auf Frieden ein
Von Dominique Rothen
In Kolumbien suchen soziale Organisationen immer wieder Formen, um ihr Überleben zu sichern und den Einfluss des bewaffneten Konflikts auf die Zivilgesellschaft zu minimieren. Eine dieser Formen ist der Dialog mit den illegalen bewaffneten Akteuren. Doch laut dem Gesetz 1421, Artikel 3 darf nur die Regierung mit den bewaffneten Gruppen in Dialog treten und die Organisationen machen sich strafbar, wenn sie diesen Weg verfolgen. Die sozialen Organisationen sehen darin das Recht auf Frieden gefährdet und haben nun beim Verfassungsgericht Klage eingereicht.
Der bewaffnete Konflikt
In Kolumbien herrscht nach wie vor eine bewaffnete Auseinandersetzung zwischen den illegalen bewaffneten Gruppen, hauptsächlich der linksgerichteten Guerilla, und der Armee. Die Zivilgesellschaft gerät oft zwischen die Fronten, hat aber mit diesem Konflikt ideologisch gesehen wenig zu tun. Im Land sind 11’000 Jungen und Mädchen unter den Waffen, ca. 95’000 Mädchen und Frauen sind im Rahmen der bewaffneten Auseinandersetzung vergewaltigt worden, etwa 10% der Bevölkerung wurde vertrieben. Das Land investiert mehr ins Militär als in die Bildung oder die Gesundheit, 60’000 Menschen sind verschwunden, Bauern und Bäuerinnen wurden ca. 5 Mio. Hektaren Land geraubt und ca. 10’000 Personen wurden von Antipersonenminen verstümmelt.
Wie diese Auswirkungen zeigen, leidet die Zivilgesellschaft massiv unter dem bewaffneten Konflikt. Deswegen versucht die Zivilgesellschaft auf verschiedenste Arten, die Auswirkungen des bewaffneten Konfliktes zu minimieren und erarbeitet Vorschläge, wie ein nachhaltiger Frieden im Land umgesetzt werden kann.
Konflikt- und Friedensszenario im Cauca
Ein Departement, wo die Auswirkungen des bewaffneten Konflikts besonders hart sind, ist das Departement Cauca im Süden des Landes. Alleine im Norden des Departements wurden im letzten Jahr 37 Morde registriert, 617 Familien wurden vertrieben und 30 Minderjährige verletzt sowie 815 Häuser zerstört. Nicht bemessen werden kann der psychische Schaden, welcher die schrecklichen Ereignisse, die Angst und die Unsicherheit bei den Leuten auslöst. Auch Zwangsrekrutierungen von Kindern und Jugendlichen sind keine Seltenheit und Mädchen und Frauen werden Opfer von bewaffneter Gewalt. Doch nicht nur im Norden des Departements ist die Zivilgesellschaft mit der bewaffneten Auseinandersetzung konfrontiert, sondern auch im Rest des Departementes, auch wenn dies auf den ersten Blick nicht so scheint und die Auswirkungen weniger sichtbar sind.
Aufgrund dieser Situation ist es nicht weiter verwunderlich, dass es in diesem Departement verschiedenste Organisationen gibt, welche sich gegen diesen Konflikt wehren und ihre Vision vom friedlichen Zusammenleben umsetzen wollen. Da dieser Frieden kaum alleine erreicht werden kann, haben sich verschiedene Organisationen im „Espacio Regional de Paz“, einer Allianz auf Departementsebene, zusammengeschlossen. Dazu gehören unter anderem die ACIN (Indigenenbewegung des Nordens des Departements), UAFROC (Afrokolumbianer ebenfalls aus dem Norden), Cococauca (Afrokolumbianer der Pazifikküste), CIMA (Bauernbewegung des Macizo Colombiano (Süden des Departements)), der CRIC (Indigene des gesamten Departements) sowie die Ruta Pacífica (Frauenbewegung des gesamten Departements). Trotz der unterschiedlichen Hintergründe und der kulturellen Verschiedenheit der Organisationen, haben sie es über die Jahre geschafft, von einer gemeinsamen Konfliktanalyse auszugehen und haben ein gemeinsames Friedensverständnis entwickelt. So sind sie sich darin einig, dass der bewaffnete Konflikt des Landes nur durch Dialog und Verhandlungen unter Miteinbezug aller Akteure, insbesondere der Zivilgesellschaft, aber auch beispielsweise von Transnationalen Firmen erreicht werden kann. Sie gehen davon aus, dass es nicht nur einen bewaffneten, sondern auch einen sozialen Konflikt im Land gibt, weshalb Frieden nicht allein durch den Dialog zwischen der Guerilla und der Regierung erreicht werden kann, sondern strukturelle Veränderungen des Systems notwendig sind, um nachhaltig Frieden zu schaffen.
Demonstration für den Frieden
Um ihr Anliegen sichtbar zu machen und ihm Nachdruck zu verleihen, haben sich verschiedene Organisationen, Funktionäre des Staates und Vertreter der Kirche vom 9. bis am 11. Mai im Norden des Departementes zu einer Demonstration getroffen. Ca. 10’000 Personen sind gekommen und haben an Märschen, Foren und internen Treffen ihr Konzept vertieft und ein Zeichen für den Frieden gesetzt.
In der verabschiedeten Deklaration der sozialen Organisationen machen sie darauf aufmerksam, dass für sie Frieden nicht darin bestehen kann, dass ein Friedensabkommen zwischen der Regierung und illegalen bewaffneten Akteuren geschlossen wird. Um einem nachhaltigen Frieden zu erreichen, müssen strukturelle Veränderungen vorgenommen werden. Die zunehmende Präsenz des Staates hat weder die Demokratie gefördert, noch die Sicherheit der BewohnerInnen und somit das Wohlbefinden erhöht, sondern durch die Staatsprogramme wurde lediglich die Korruption gefördert und die zunehmende Militarisierung des Territoriums führte dazu, dass die Zivilbevölkerung noch mehr in den bewaffneten Konflikt miteinbezogen wird. Die Militarisierung hat nicht einmal dazu geführt, dass die Guerilla wesentlich geschwächt wurde. In den letzten Monaten ist im Cauca seitens der Guerilla eine Zunahme der Attacken dieser Gruppe sowie auch deren Intensität festzustellen.
Gleichzeitig machen die sozialen Organisationen darauf aufmerksam, dass gut analysiert werden muss, was neue Gesetze und Politiken für Auswirkungen auf den Konflikt haben können. Die Förderung des Bergbaus als Lokomotive des Wirtschaftswachstums wird als sehr problematisch betrachtet, da diese Grossprojekte erneut zu Sicherheitsproblemen und Vertreibungen führen. Deshalb fordern die sozialen Organisationen eine Veränderung auch in der Politik, die nicht nur die neoliberalen Interessen des Staates in den Vordergrund stellt, sondern Demokratie und Partizipation des gesamten Volks ernst nimmt und auch umsetzt. Um diese Veränderungen auszuarbeiten und umzusetzen braucht es die Teilnahme aller betroffenen Sektoren, dies kann nicht allein Aufgabe von Friedensverhandlungen zwischen bewaffneten Akteuren sein.
In ihrer Deklaration haben die drei Gouverneure der Departemente Valle del Cauca, Nariño und Cauca sowie 16 Bürgermeister und Bürgermeisterinnen das Anliegen der sozialen Organisationen unterstützt. Sie betonen, dass weder die Bekämpfung der Guerilla zum Frieden führen kann noch die Revolution, wie es sich bestimmten Gruppen vorstellen. Auch sie betonen, dass strukturelle Veränderungen im System notwendig sind, da beispielsweise in bestimmten Regionen fast nur vom Kokaanbau gelebt werden kann und es realistische Alternativen braucht, welche Einkommen generieren können.
Für die sozialen Bewegungen des Departementes war es ein wichtiger Anlass, denn das erste Mal seit langem sind alle Sektoren auf die Strasse gegangen und haben sich für den Frieden eingesetzt. Besonders hervorgehoben werden muss einerseits die Beteiligung der AfrokolumbianerInnen, welche bis anhin in der Friedensbewegung nicht sehr präsent waren und andererseits jene der Frauen, welche ihren Anliegen starken Nachdruck verliehen haben und welche auch einen wesentlichen Punkt in der abschliessenden Deklaration einbringen konnten. Friede kann nur erreicht werden, wenn auch die spezifische Situation der Mädchen und Frauen berücksichtigt wird und die Frauenrechte vollumfänglich respektiert werden. Ebenfalls sehr bemerkenswert ist die bereits erwähnte Teilnahme von Vertretern und Vertreterinnen des Staates, denn somit verläuft die Konfliktlinie nicht (mehr) zwischen der Zivilgesellschaft und dem Staat, sondern es entstand vielmehr eine Demonstration Gleichgesinnter für den Frieden.
Demonstrationen, Foren und Kongresse
Für die Organisationen hat die Mobilisierung für den Frieden erst begonnen, die Demonstration Anfang Mai war erst der Auftakt. Es sollen nun verschiedene Aktionen folgen, die das Land dem Frieden einen Schritt näher bringen sollen. Es sind weitere Demonstrationen sowie Foren und Kongresse geplant. Ausserdem rufen die Organisationen des Cauca Organisationen der anderen Regionen des Landes auf, sich dieser Initiative anzuschliessen und so eine Friedensbewegung auf nationaler Ebene in Bewegung zu setzen.
Wer hat den Schlüssel zum Frieden?
In einer Rede im August letzten Jahres hat Präsident Santos jeglichen Personen und Gruppen untersagt, mit den illegalen bewaffneten Gruppen in Kontakt zu treten und Verhandlungen aufzunehmen, und er hat betont, dass einzig und allein die Regierung des Landes den „Schlüssel zum Frieden“ habe und alleine darüber bestimme, wann und wo er zum Einsatz kommt. In dieser Aussage bezieht sich Juan Manuel Santos auf das Gesetz 1421 Artikel 3 des Jahres 2010. Doch dieses Gesetz hat weitreichende Konsequenzen für die Zivilgesellschaft. Denn schon seit langer Zeit ist der Dialog mit den illegalen bewaffneten Gruppen ein wirksames Mittel, um den Einfluss des bewaffneten Konflikts auf die Zivilgesellschaft zu minimieren. Mittels dieser Dialoge können die sozialen Organisationen beispielsweise Kinder und Jugendliche, welche zwangsrekrutiert worden sind, zurückholen und sie können in Erfahrung bringen, wo es in ihrer Region verminte Gebiete gibt, um die Bevölkerung zu warnen oder die Minenfelder gar zu räumen. Ausserdem können sie sich mit den illegalen Akteuren darüber einigen, wie die Zivilbevölkerung möglichst aus den bewaffneten Auseinandersetzungen mit dem Militär rausgehalten werden kann. Mit diesem Gesetz werden nun diese humanitären Dialoge kriminalisiert, was die sozialen Organisationen nun nicht mehr akzeptieren wollen, denn sie fühlen sich in ihrem Recht auf Frieden eingeschränkt, welches ihnen laut Artikel 22 der Verfassung zusteht.
„Es ist Zeit, den Krieg zu beenden. Auch wir haben den Schlüssel zum Frieden“
Das „Red de Iniciativas y Comunidades de Paz desde la Base“ hat eine Kampagne lanciert, welche die Symbolik Santos’ aufgreift: „Es hora de parar la guerra. La llave de la paz también es nuestra“ (Es ist Zeit, den Krieg zu beenden. Auch wir haben den Schlüssel zum Frieden). Diese Kampagne hat zum Ziel aufzuzeigen, dass der Frieden nicht allein von der Regierung ausgehandelt werden kann, sondern dass dies Verantwortung und Kompetenz aller BewohnerInnen des Landes ist. Dieses Anliegen soll ausserdem auch rechtlich verankert werden.
In einem ersten Schritt haben die Organisationen den Artikel 3 des erwähnten Gesetzes 1421 eingeklagt, welcher laut ihnen verfassungswidrig ist, da er im Widerspruch mit dem Artikel 22 der Verfassung steht, welcher dem Land das Recht auf Frieden zusichert.
Am 13. Juni 2012 haben Vertreter und Vertreterinnen der Organisationen diese Klage in einer öffentlichen Aktion beim Verfassungsgericht in Bogotá eingereicht. Ob das Verfassungsgericht darauf eintritt wird in den nächsten Monaten klar werden.
Während die Organisationen nun auf die Antwort des Verfassungsgerichts warten, werden sie sowohl in den Regionen als auch auf nationaler Ebene Aktionen durchführen. Diese sollen zu einem friedlichen Ausgang des sozialen und bewaffneten Konfliktes führen, in welcher die Zivilgesellschaft eine wesentliche Rolle spielt, im Dialog mit allen Konfliktparteien.
Nationale und internationale Unterstützung der Klage
Die Entscheidung liegt nun beim Verfassungsgericht, doch das Anliegen der sozialen Organisationen kann sowohl national wie auch international mit Coadyuvancias unterstützt werden. Auf der Seite http://www.askonline.ch/themen/friedensfoerderung/frieden-von-unten/recht-auf-frieden/ kann eine Vorlage eines Briefes runtergeladen werden, welcher unterschrieben und anschliessend an das kolumbianische Verfassungsgericht geschickt werden kann. Auszufüllen sind Ort und Datum, Name und ID-Nummer, und am Ende die Unterschrift. Der Brief kann an das Verfassungsgericht per Post oder Fax gesandt werden, oder an folgende Adresse gemailt werden: info@fundachasquis.org. Die gesammelten Briefe werden dann von der NGO Chasquis an das Gericht übergeben. Der Brief kann sowohl im Namen einer Person als auch einer Gruppe unterzeichnet werden.
ask Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien
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