Polizei- und Militär-Reformen in Kolumbien – Briefing der MRKK

Polizei und Militär in Kolumbien sind bis heute für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen verantwortlich. Wirkliche Reformen des Sicherheitssektors haben bisherige Regierungen vermieden. Seit 2021 führt die Bundesregierung zwei Kooperationen mit Polizei und Militär in Kolumbien durch. Die Projekte müssen strikt an verbindliche menschenrechtliche Vorgaben geknüpft werden. Dafür formuliert ein Briefing der Deutschen Menschenrechtskoordination Kolumbien (MRKK) klare und konkrete Anforderungen.

Polizeigewalt

Polizeigewalt ist in Kolumbien weitverbreitet. Menschenrechtsorganisationen dokumentierten im Zeitraum 2015 bis 2023 insgesamt 929 Tötungsdelikte, über 91.000 Fälle von Körperverletzung und mindestens 268 Fälle sexualisierter Gewalt durch Polizeikräfte. In diversen Fällen kooperierten sie dabei auch mit nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen. Vor allem bei Demonstrationen und Zwangsräumungen sind immer wieder schwere Straftaten durch die Polizei zu beobachten. Im September 2020 stellte der Oberste Gerichtshof Kolumbiens in einem Grundsatzurteil fest, dass die Polizei wiederholt systematisch, willkürlich und unverhältnismäßig Gewalt gegen Demonstrierende eingesetzt habe und dringend reformiert werden müsse.

Zwischen 2019 und 2021 erlebte Kolumbien die größte Welle sozialer Proteste seit über vier Jahrzehnten mit hunderttausenden Teilnehmenden. Obwohl die allermeisten Demonstrationen friedlich verliefen, reagierte die kolumbianische Regierung mit massiver Repression: Staatliche Sicherheitskräfte setzten Sturmgewehre gegen Demonstrierende ein und gingen mit Gummigeschossen, Reizgas, Schock- und Blendmunition gegen friedlich Protestierende vor.

Menschenrechtsorganisationen verzeichneten 133 Tötungsdelikte, über 5.300 größtenteils willkürliche Festnahmen sowie hunderte weitere Fälle von Folter, Verschwindenlassen, schwerer Körperverletzung sowie sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen, Mädchen und LGBTIQA*. In mindestens 107 Fällen haben Polizeikräfte allein während des Paro Nacional 2021 friedlich Protestierenden mit sog. weniger tödlichen Waffen absichtlich ins Gesicht geschossen und dabei schwere Augenverletzungen billigend in Kauf genommen.

2022 und 2023 gingen die Proteste deutlich zurück. Dennoch wurden über 560 Personen zur Zielscheibe von Polizeigewalt bei Demonstrationen. Mindestens zwei verloren dabei ihr Leben, acht erlitten schwere Augenverletzungen.

Militärgewalt

Militärkräfte sind ebenfalls für eine Vielzahl schwerster Menschenrechtsverletzungen verantwortlich – immer wieder auch in Komplizenschaft mit nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen. Für die Jahre 2002 bis 2008 ermittelt die mit dem Friedensabkommen von 2016 zwischen der Regierung Kolumbiens und der Guerrilla-Gruppe FARC geschaffene Sondergerichtsbarkeit für den Frieden (JEP) wegen der systematischen außergerichtlichen Hinrichtungen von über 6.400 Menschen vor allem durch Militäreinheiten. Menschenrechtsorganisationen gehen sogar von bis zu 10.000 solcher als sog. Falsos Positivos bekannt gewordener Fällen aus.

Willkürliche Tötungen durch das Militär sind keineswegs ein Phänomen der Vergangenheit, auch wenn ihre Zahl zuletzt zurückging. Bei einer Operation im März 2022 in der Gemeinde Alto Remanso (Departement Putumayo) töteten Streitkräfte willkürlich elf Zivilpersonen. Der Fall ist bisher nicht aufgeklärt. Die UN belegten zwischen 2018 und 2023 mindestens 254 willkürliche Tötungen durch staatliche Sicherheitskräfte – größtenteils durch Militärangehörige.

Zudem dokumentierten die UN, die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte und Menschenrechtsorganisationen diverse Fälle von Folter, sexualisierter und anderen Formen geschlechtsspezifischer Gewalt, Körperverletzung, Diskriminierung und Einschüchterung. Für die Jahre 2015 bis 2020 ermittelt die Generalstaatsanwaltschaft gegen Militärangehörige in 513 Fällen sexualisierter Gewalt und in über 3.300 Fällen von Körperverletzung.

Deutsche Kooperationen mit Polizei und Militär

Seit März 2021 unterhält die Bundesregierung eine Kooperation mit der Nationalpolizei, seit November 2021 eine Militärkooperation mit dem Verteidigungsministerium Kolumbiens. Die Polizei-Kooperation besteht wesentlich aus Trainingsmodulen mit dem Ziel verbesserter Polizeiarbeit. Über die Inhalte der Militärkooperation gibt das zuständige Bundesministerium der Verteidigung keine Auskunft. Verbindliche menschenrechtliche Vorgaben scheinen für beide Kooperationen nicht festgelegt worden zu sein. Auch einen begleitenden politischen Dialog mit dem Ziel, strukturelle menschenrechtskonforme Reformen in den staatlichen Sicherheitskräften und eine wirksamere Bekämpfung der Straflosigkeit zu erreichen, führt die Bundesregierung nach öffentlich zugänglichen Informationen nicht.

Vor diesem Hintergrund unterstützen Mitgliedsorganisationen der Deutschen Menschenrechtskoordination Kolumbien (MRKK) die Vorschläge kolumbianischer Menschenrechtsorganisationen für strukturelle Reformen des Sicherheitssektors und fordern verbindliche menschenrechtliche Vorgaben für die beiden Kooperationen der Bundesregierung mit Polizei und Militär. Dafür formuliert das MRKK-Briefing klare und konkrete Mindestanforderungen.

Das Briefing wird von folgenden Organisationen getragen: Action pro Colombia, Adveniat, Amnesty International, Brot für die Welt, Caritas international, Kolumbiengruppe Nürtingen, kolko – Menschenrechte für Kolumbien e. V., Misereor, Ökumenisches Büro für Frieden und Gerechtigkeit München, pax christi Deutschland und peace brigades international Deutschland. Die zeichnenden Organisationen sind Mitglieder der Deutschen Menschenrechtskoordination Kolumbien (MRKK).

 

Foto: © Raúl Arboleda, AFP via Getty Images

Zusammenstöße von Polizei und Protestierenden am 28. April 2021 in Bogotá während einer Demonstration gegen eine von der Regierung von Kolumbiens Ex-Präsident Iván Duque vorgeschlagene Steuerreform.