Kolumbien-aktuell No. 571 und Monatsbericht | Juni 2017

Liebe Leserinnen und Leser Auch wenn die Regierung Santos in öffentlichen Ansprachen immer wieder beteuert, der Friedensprozess sei unumkehrbar, so scheint der Frieden bis heute zögerlich und verletzlich. Aber vielleicht ist dies nach über 50 Jahren Gewalt auch normal. Zu viele Wunden sind noch nicht geheilt, zu viel Unrecht noch nicht einmal anerkannt. So beobachten […]

Liebe Leserinnen und Leser

Auch wenn die Regierung Santos in öffentlichen Ansprachen immer wieder beteuert, der Friedensprozess sei unumkehrbar, so scheint der Frieden bis heute zögerlich und verletzlich. Aber vielleicht ist dies nach über 50 Jahren Gewalt auch normal. Zu viele Wunden sind noch nicht geheilt, zu viel Unrecht noch nicht einmal anerkannt. So beobachten sich denn auch die ehemaligen Gegner weiterhin mit viel Misstrauen.

Gerade der kolumbianische Staat zeigt aktuell nur wenig Willen, das Misstrauen zu bekämpfen und die Ursachen des bewaffneten Konflikts anzugehen. Mit vorschnellen Verhaftungen nach dem Anschlag im Einkaufszentrum Andino wird das Vertrauen von MenschenrechtsverteidigerInnen in den Staat weiter untergraben. Und die politischen Ränkespiele bei der Ausarbeitung einer integralen Agrarreform lassen auch die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern auf eine bessere Behandlung durch die Politik hoffen.

So wird es auch weiterhin an der Zivilgesellschaft und ihren Organisationen liegen, sich für eine bessere Landverteilung, für eine bessere Wirtschaft und für ein besseres Kolumbien für alle einzusetzen.

Solidarische Grüsse aus der Redaktion!

I.  Artikel

Das Attentat vom Einkaufszentrum Andino in Bogotá: Anschlag gegen den Frieden oder Falso positivo juridico?

Am Samstagnachmittag, 16. Juni 2017, ereignete sich auf einer Damentoilette des schicken Einkaufszentrums Andino im Norden Bogotas ein Sprengstoffanschlag, der drei Todesopfer und mehrere Verletzte forderte. Am Sonntag 19. Juni 2017 versprach Präsident Santos eine schnelle Aufklärung, es gebe drei konkrete Spuren.

(Von Stephan Suhner)

http://www.askonline.ch/themen/friedensfoerderung/friedensverhandlungen/anschlag-auf-einkaufszentrum-andino-und-folgen-fuer-friedensprozess/

Ein zögerlicher Frieden unter dunklen Wolken

Während die FARC ihren Teil der Verpflichtungen aus dem Friedensvertrag zielgerichtet umsetzen, zeichnet sich die Regierung Kolumbiens bisher durch eine Politik der kleinen Schritte aus. Von den Verhandlungen zwischen ELN und Regierung sind positive Signale zu vernehmen. Verschiedenen Quellen zufolge steht ein Waffenstillstand kurz bevor. Dem stehen jedoch die unterschiedlichen Absichten und Ziele der Verhandlungspartner entgegen. Und über dem gesamten Friedensprozess schwebt die Präsidentschaftswahl 2018 mit dem drohenden Erfolg eines dem Frieden abgeneigten Kandidaten.

(Von Fabian Dreher)

http://www.askonline.ch/themen/friedensfoerderung/friedensverhandlungen/ein-zoegerlicher-frieden-unter-dunklen-wolken/

II.Monatsbericht: Der erste Punkt der Agenda des Friedensabkommens: Erarbeitung einer Gesetzesgrundlage für die integrale Agrarreform

Die Umsetzung verschiedener Elemente des Abkommens zwischen der Regierung von Präsident Santos und den FARC verzögern sich oder werden verwässert. So auch der erste Punkt der Agenda, hin zu einer neuen kolumbianischen Landwirtschaft. Zur Umsetzung dieses Punktes der Agenda muss ein Gesetz zur Durchführung einer Integralen Agrarreform verabschiedet werden, die die Bodenkonzentration beendet, KleinbäuerInnen und ethnische Gemeinschaften als Rechtssubjekte anerkennt und eine Raumplanung einführt, die Landkonzentration und Vertreibungen beendet. Das Hin und Her bei der Ausarbeitung dieses Gesetzes zeigt exemplarisch die Probleme der Umsetzung des Friedensabkommens auf.

(Von Stephan Suhner)

http://www.askonline.ch/publikationen/monatsberichte/integrale-agrarreform-zur-umsetzung-des-friedensabkommens/

III. Apropos

Gewaltsame Aufstandsbekämpfung unter Druck

Die gewaltsame Aufstandsbekämpfung der Sondereinheit ESMAD (Escuadrón Móvil Antidisturbios) gerät politisch und gesellschaftlich zunehmend unter Druck. Die Sondereinheit setzt gemäss MenschenrechtsverteidigerInnen übermässige Gewalt gegen Demonstranten und AktivistInnen ein, insbesondere wenn diese das Vorgehen von regulären Polizeieinheiten und der ESMAD selbst dokumentieren.

Mitte Juni schliesslich wurde die ESMAD zu Schadenersatzzahlungen sowie einem Kurs in Menschenrechten und Verhältnismässigkeit verurteilt für den Tod eines Studenten bei Protesten im September 2005.

http://www.resumenlatinoamericano.org/2017/06/02/colombia-persecucion-a-defensores-de-ddhh-que-documentan-agresiones-del-esmad/

https://www.amnesty.ch/de/laender/amerikas/kolumbien/dok/2017/unverhaeltnismaessige-gewalt-gegen-demonstrierende

http://wp.telesurtv.net/news/Ordenan-dar-curso-de-derechos-humanos-a-Esmad-de-Colombia-20170618-0021.html

Beendigung der Generalstreiks im Chocó und in Buenaventura

Der Generalstreik im Chocó endete am 28. Mai nach 18 Tagen nach Verhandlungen der Streikenden mit der kolumbianischen Regierung. Die Regierung versprach die rasche Fertigstellung der Strassenverbindungen von Medellín und Pereira nach Quibdó, der Hauptstadt des Chocó sowie den Bau eines Spitals der höchsten Stufe in Quibdó sowie von Spitälern in Istmina und Bahía Solano.

Nach 20 Tagen Generalstreik konnte am 5. Juni auch in Buenaventura, der grössten Hafenstadt Kolumbiens an der Pazifikküste, eine Einigung gefunden werden. Auch hier verspricht die kolumbianische Regierung schnelle Investitionen in die Infrastruktur, insbesondere in die Strom- und Wasserversorgung aber auch in die Gesundheitsversorgung und das Bildungswesen.

Im Chocó wie auch in Buenaventura sind dies nicht die ersten Generalstreiks und auch die Versprechungen der Regierung klingen äusserst vertraut. Es bleibt abzuwarten, ob die Regierungen ihre Versprechen dieses Mal zu erfüllen gedenkt.

http://www.vanguardia.com/colombia/399080-en-choco-llegan-a-un-acuerdo-para-levantar-el-paro-civico

http://www.noticiasrcn.com/nacional-regiones-pacifico/este-domingo-se-levanto-el-paro-civico-choco

http://www.rcnradio.com/economia/gobierno-confia-hoy-se-levante-paro-buenaventura/

https://noticias.caracoltv.com/cali/gobierno-y-lideres-del-paro-civico-en-buenaventura-estan-punto-de-firmar-el-acuerdo

Hintergrundartikel zu den politischen, sozialen und strukturellen Problemen im Chocó und in Buenaventura:

Regierung und Bevölkerung gehen gegen den Bergbau vor

Nach der erfolgreichen Volksabstimmung über den Bergbau in der Gemeinde Cajamarca (Tolima) wehren sich immer mehr Gemeinden mittels Volksbefragung gegen den Bergbau auf ihrem Gemeindegebiet, so auch verschiedene Gemeinden in Antioquia. Die Bergbaubranche beklagt sich über die rechtliche Unsicherheit, die ihre Investitionen hemme.

Derweil hat die Regierung Kolumbiens den illegalen Abbau von Rohstoffen zum Feind erklärt und bekämpft diesen mit regelmässigen Einsätzen der Armee gegen illegale Minen

https://amerika21.de/2017/06/177679/buerger-gegen-bergbau

https://www.ocmal.org/once-municipios-de-antioquia-dicen-no-a-la-mineria/

https://www.ocmal.org/anglogold-ashanti-se-retiraria-de-jerico-antioquia-tras-acuerdo-que-prohibe-la-mineria/

https://www.ocmal.org/la-catastrofe-ambiental-por-la-mineria-que-denuncian-habitantes-de-combita-boyaca/

http://m.elcolombiano.com/incertidumbre-frena-la-mineria-YK6783616

http://www.elpolitico.com/santos-advierte-que-no-permitira-que-mineria-ilegal-siga-contaminando-rios/

http://seguimiento.co/colombia/el-nuevo-enemigo-del-pais-es-la-mineria-ilegal-y-sus-armas-de-destruccion-procurador

http://www.cgfm.mil.co/2017/06/22/operaciones-militares-la-mineria-ilegal-norte-del-huila/

IV. Tipps und Hinweise

Lesehinweis: Wo bleibt die Kohärenz? Menschenrechte und Schweizer Aussenpolitik

Ein Diskussionspapier (PDF, 40 Seiten, 1.35 MB) der Arbeitsgruppe Aussenpolitik der NGO-Plattform Menschenrechte (der auch die ask! angehört).

30 Jahre ask! – 30 Jahre Einsatz für Menschenrechte in Kolumbien

Seit 30 Jahren engagiert die Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien (ask!) sich für die Menschenrechte in Kolumbien. Sie verleiht dabei der kolumbianischen Zivilbevölkerung eine Stimme in der Schweiz und Europa und informiert Medien, Politik und Gesellschaft über die Anliegen der Zivilgesellschaft in Kolumbien.

Mit Podiumsveranstaltungen, Filmvorführungen, einer Fotoausstellung und einem Poetry Slam in Luzern, Bern und Zürich feiert die ask! vom 24. August bis am 23. September 2017 ihr 30-jähriges Bestehen. Ein detailliertes Programm steht in Kürze auf www.askonline.ch zur Verfügung.

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V.  Lesenswerte Artikel

 

–       Studie über die Auswirkungen der sexuellen Gewalt im Umfeld des bewaffneten Konflikts: http://www.mpdl.org/sites/default/files/170405-violencia-sexual-mujer-colombia.pdf

–       Interview mit Schriftsteller Juan Gabriel Vásquez über das Engagement von Intellektuellen im Friedensprozess: https://www.nzz.ch/feuilleton/schriftsteller-juan-gabriel-vasquez-in-politischen-und-sozialen-konflikten-gibt-es-immer-eine-unsichtbare-seite-ld.1298936

–       Die Zusammenarbeit der Palmölproduzenten mit den Paramilitärs: http://www.elespectador.com/noticias/judicial/la-alianza-paramilitar-con-los-palmeros-en-el-bajo-atrato-chocoano-articulo-697576

–       Die ehemalige Senatorin und Präsidentschaftskandidatin Piedad Córdoba im Interview: http://www.nodal.am/2017/06/piedad-cordoba-exsenadora-defensora-ddhh-voy-candidata-sere-presidenta-2018/

edaktion: Fabian Dreher

 

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