Kolumbien: Gewaltfreier Widerstand inmitten eines schmutzigen Krieges IMI-Analyse 2007/028

Informationsstelle Militarisierung (IMI) e. V. Am 1. September werden Vertreter der Friedensgemeinde San José de Apartado in Aachen den Friedenspreis empfangen[1]. Wichtiger als die damit verbundene Würdigung ist die internationale Öffentlichkeit. Denn von ihr hängt wortwörtlich das Überleben der Mitglieder ab. San José de Apartado liegt in der Region Urabá im Nordwesten Kolumbiens im Department […]

Informationsstelle Militarisierung (IMI) e. V.

Am 1. September werden Vertreter der Friedensgemeinde San José de Apartado in Aachen den Friedenspreis empfangen[1]. Wichtiger als die damit verbundene Würdigung ist die internationale Öffentlichkeit. Denn von ihr hängt wortwörtlich das Überleben der Mitglieder ab. San José de Apartado liegt in der Region Urabá im Nordwesten Kolumbiens im Department Antioquia. Das südamerikanische Land ist in mehrfacher Hinsicht einzigartig. Tropische Regenwälder und die Anden sorgen nicht nur für eines der Gebiete mit der weltweit höchsten Biodiversität, sondern bieten sich auch als Rückzugsgebiet für die Guerilla und als optimale Anbaufläche für die Coca-Pflanze an. In Kolumbien sind die ältesten und größten Guerillagruppen des Kontinents zu finden (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (FARC) – Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens und die Ejército Liberación Nacional (ELN) – Nationales Befreiungsheer[2]). Gleichzeitig sind weitere bewaffnete Gruppen in Form der rechtsgerichteten Paramilitärs aktiv, die für die Mehrzahl der Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind[3]. Opfer aller bewaffneten irregulären Akteure aber auch der regulären Streitkräfte ist zumeist die Zivilbevölkerung. Mit 3,5 Millionen Binnenvertriebenen rangiert Kolumbien an zweiter Stelle nach dem Sudan[4]. Auch unter den Ländern mit der höchsten Anzahl an politischen Morden, getöteten Journalisten oder Gewerkschaftsfunktionären[5] nimmt der südamerikanische Staat eine traurige Spitzenposition ein.

Pazifistische Inseln

Inmitten aller Auseinandersetzungen haben 1.300 Menschen den Mut gefunden, sich bewusst von jeglicher Gewalt abzuwenden. Im März 1997 erklärten sich die Bewohner von San José de Apartado zur „Friedensgemeinde“. Innerhalb der Gemeinde sind der Besitz und das Tragen von Waffen ebenso verboten, wie die Unterstützung von bewaffneten Akteuren mit Informationen oder logistischer Art. Genau diese Strategie macht sie in den Augen ihrer Gegner gefährlich. Bisher verfuhren die staatlichen Streitkräfte, ebenso wie Paramilitärs oder Guerilla nach dem Motto: „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.“ Tatsächlich wird in den umkämpften Gebieten die zivile Bevölkerung genötigt, mit der gerade vor Ort anwesenden Partei zu kollaborieren. Die Bauern werden gezwungen Botendienste zu verrichten, Informationen weiterzugeben oder Lebensmittel zu liefern. Nicht selten kommt es zu Zwangsrekrutierungen, bei denen der kolumbianische Staat keine Ausnahmen macht[6]. Getreu dem erwähnten Motto wird die Zivilbevölkerung zum unfreiwilligen Kollaborateur und damit zum militärischen Ziel, das damit ebenfalls bekämpft wird. Die Nähe von tatsächlich vorhandenen Aufständischen spielt allerdings nur eine untergeordnete Rolle; aushilfsweise wird die Zusammenarbeit einfach unterstellt, wie auch die Mitglieder der Friedensgemeinde schmerzlich erfahren mussten. 178 Menschen wurden allein in San Apartado seit 1997 ermordet, gerade weil sie sich der perversen Kriegslogik entziehen wollten[7]. Mit einem Areal, das – abgesperrt mit Draht und Hinweisschildern „comunidad de paz“ – keinen Eintritt für bewaffnete Gruppen erlaubt, versuchen die Bewohner der Friedensgemeinde einen Raum für den zivilen, gewaltfreien Widerstand zu schaffen.

Angewiesen sind diese pazifistischen Inseln (mittlerweile existieren um die 20 Widerstandsdörfer[8]) auf internationale Unterstützung. Ähnlich wie bei der Menschenrechtsbeobachtung z.B. in Chiapas garantiert die internationale Präsenz ein gewisses Maß an Sicherheit. Solange ausländische Zeugen vor Ort sind, hält sich der Staat mit repressivem Vorgehen zurück. Bemerkenswerterweise lassen in Kolumbien die Angriffe der Paramilitärs ebenfalls nach, was einen indirekten Einblick in die engen Kontakte zwischen ihnen und der staatlichen Seite gewährt.

Organisationen wie peace brigades international (pbi) oder Fellowship Of Reconciliation (FOR)[9] leisten solche Begleitarbeit und sorgen zumindest punktuell dafür, dass die lokalen Akteure, ihre Arbeit für Menschenrechte und Frieden fortsetzen können. In San José versuchen die Einwohner, mit ihrer Hilfe vor allem ein gewaltfreies und selbstbestimmtes Leben zu führen. In der Gemeinde wird der Akzent auf Basisdemokratie, zivilen Widerstand aber auch die Betonung der sozialen Frage gelegt. Viele Tätigkeiten werden kollektiv in Arbeitsgruppen ausgeführt, ein von den Bewohnern gewählter Interner Rat funktioniert als eigenes höchstes Gremium.

Staatliche Repression

Den staatlichen Stellen sind solch autonome Bestrebungen ein Dorn im Auge. Auf verschiedene Weise versuchen, die politischen Akteure diese gewaltfreien Emanzipationsbewegungen zu delegitimieren. Was zu Beginn mit militärischer Repression durchgeführt wurde, wird inzwischen auf andere, nicht weniger perfide Art fortgesetzt. Die Gemeindeführer sehen sich ständig dem Vorwurf ausgesetzt, dass sie mit „Terroristen“ kollaborieren würden; willkürliche Verhaftungen sind keine Seltenheit. Zwischen 2002 und 2004 hat sich die Zahl der Inhaftierungen mehr als versechsfacht[10]. Ziel sind neben den Führungspersonen der humanitären Zonen auch Vertreter sozial engagierter Organisationen, die auf zivilgesellschaftlichen oder juristischen Wegen auf Kolumbiens Missstände aufmerksam machen.

Neben dem Wegsperren politisch unliebsamer Gegner wird die ganze Bandbreite an low intensity warfare (Krieg niedriger Intensität) ausprobiert. So richtete die Polizei in San José de Apartado gleich neben der Friedensgemeinde einen Stützpunkt ein. Angeblich zum Schutz der Bewohner verstieß die Präsenz eindeutig gegen die Neutralität des Dorfes und machte sie im Gegenteil wieder zu einem potenziellen Angriffziel. Die negativen Erfahrungen im Hintergrund fassten 400 Einwohner der Gemeinde den Entschluss eine neue Siedlung – „San Josesito“ – in kurzer Entfernung aber in Unabhängigkeit von den bewaffneten Akteuren zu gründen.

Mittlerweile zwar seltener aber trotzdem werden die Bewohner weiterhin Opfer von tödlichen Angriffen – meist dann, wenn sich keine internationale Person vor Ort aufhält. Im Februar 2005 wurden 8 Gemeindemitglieder ermordet. Auch zwei Jahre nach dem Massaker wurde niemand zur Rechenschaft gezogen, obwohl eindeutige Zeugenaussagen vorliegen, die Armeeangehörige schwer belasten[11]. Der letzte traurige Vorfall ereignete sich am 13. Juli 2007. Ein bekannter Gemeindeführer war auf dem Weg nach San José, als sein Auto von Paramilitärs angehalten wurde. Er wird aufgefordert auszusteigen, der Fahrer genötigt weiterzufahren; Schüsse ertönen, die Leiche wird an dieser Stelle liegen gelassen – keine zwei Minuten zum nächsten Kontrollposten der Polizei.

Profitinteressen

Dass es nicht nur um politische Ziele sonder auch um handfeste wirtschaftliche Interessen geht, beweist das Beispiel einer anderen humanitären Zone im Chocó. Der Bundesstaat Chocó liegt im Nordosten Kolumbiens an der Grenze zu Panama. Infrastrukturell weit zurück geblieben und eine der ärmsten Regionen, besitzt er dennoch fruchtbaren Boden und strategische Bedeutung. 1997 wurden im Rahmen der Militäroperation „Genesis“ tausende Menschen vertrieben. Unter dem Deckmantel der „Aufstandsbekämpfung“ wurden Bombardierungen durchgeführt und ganze Dörfer niedergemacht. Unmittelbar nach der Vertreibung begannen Unternehmer auf dem Land der Vertriebenen in Monokultur Ölpalmen anzubauen[12]. Wer noch nicht durch die militärische Operation vertrieben wurde, wurde durch Drohungen und auf illegale Weise um sein Land gebracht. Der Urwald wird abgeholzt, um einer höchst lukrativen Pflanze Platz zu machen. Die Ölpalme liefert von allen weltweit bekannten Ölsaaten den höchsten Hektarertrag. Nicht nur für Kosmetik- und Nahrungsmittelindustrie ist sie von Bedeutung, sondern im steigenden Maße auch für die so genannten Biokraftstoffe – auch ein brennendes aktuelles Thema innerhalb der EU.

Nachdem verschiedene Versuche der Rückkehr mittels paramilitärischer Gewalt im Keim erstickt wurden, wagte eine Gruppe einen neuen Versuch. 2006 beschlossen mehrere Familien mit Unterstützung der Menschenrechtsorganisation „Interkirchliche Kommission Gerechtigkeit und Frieden“ („Jusiticia y Paz“) und mit internationaler Begleitung, den Kampf wieder aufzunehmen. Don Petro Hernández ist es juristisch gelungen von seinen 150 Hektar Land 30 zu retten, 90 Hektar wurden schon illegal mit Ölpalmen bepflanzt. Fünf Hektar stellt er zur Schaffung einer humanitären Zone zur Verfügung, auf der die Familien so lange von Subsistenzwirtschaft leben können, bis auch sie ihr Eigentum zurück erhalten[13].

Die Chancen stehen allerdings schlecht. Allein in dieser Region haben sich die Palmölunternehmen über 40.000 Hektar angeeignet, 21.142 davon widerrechtlich[14]. Solange lukrative Gewinne aus den Anpflanzungen fließen, werden die Palmölunternehmen alles in ihrer Macht stehende tun, eine Rückkehr der rechtmäßigen Eigentümer zu verhindern. Die Oligarchie kann dabei auf ihre traditionell guten Kontakte zum Staat vertrauen. So findet unter militärischer Aufsicht die kontinuierliche Ausdehnung der Anpflanzungen statt und die Zugänge zu den Plantagen werden von Wachposten der Armee kontrolliert. Gleichzeitig besorgen bezahlte Paramilitärs die Schmutzarbeit. Staatliche Institutionen in Form der Polizei oder Staatsanwaltschaft tragen mit ihrer Untätigkeit oder mit aktiver Vertuschung dazu bei, dass die chronische Straflosigkeit zum Wegbsereiter neuen Unrechts wird[15]. Im Gegenteil geraten die Menschenrechtsverfechter ins Fadenkreuz der Justiz. Unter dem Vorwurf der Beteiligung bzw. der Unterstützung der Guerilla wurde 2006 ein Verfahren gegen führende Gemeindemitglieder und „Justicia y Paz“ angestrengt.

Der Gipfel der Perfidität ist erreicht, wenn der Anbau der Ölpalmen seitens der US-Administration[16] unterstützt wird. Im Plan Colombia, der als Drogenbekämpfungplan von den Vereinigten Staaten massiv finanziell gestützt wird, wird die Ölpalme als alternatives Anbauprodukt definiert. So positiv der Wandel von der Ausrichtung militärisch-repressiver Strategien[17] auf den sozialen Sektor zu bewerten ist, so vollkommen geht die Idee an der kolumbianischen Wirklichkeit vorbei. Die Kleinbauern verfügen weder über Ausrüstung noch Kapital, um Plantagen anzulegen. Die Profiteure des Palmenanbaus bleiben die Großgrundbesitzer und Industriellen. Daneben erweist sich die Ausbreitung der riesigen Plantagen auch aus ökologischer Sicht als fragwürdig. Für viele Gebiete, auf denen die Palma africana angebaut wird, werden vorher Regenwälder abgeholzt oder niedergebrannt. Bei der Brandrodung wird so viel Kohlendioxid freigesetzt, dass man mehr als 100 Jahre braucht, um dieses Kohlendioxid wieder zu binden[18]. Gleichzeitig werden mit der Vernichtung des Regenwalds einzigartige Ökosysteme zerstört und die traditionelle Anbauweise ist mit den großflächigen Monokulturen unvereinbar. Dies führt nicht nur zu Nahrungsmittelknappheit, da die Anbauflächen nicht mehr für die Anpflanzung von Yucca, Reis und Bananen zur Verfügung stehen. Die exzessive Plantagenwirtschaft zieht ebenso die Erosion und Wasserverschmutzung durch Dünge- und Pflanzenschutzmittel nach sich[19].

Auf den Ruf nach Rückgabe der enteigneten Flächen und nach einem sofortigen Stopp der Anpflanzungen hat die kolumbianische Regierung genauso wenig reagiert wie auf ein Urteil des Interamerikanischen Gerichtshofes vom 15.März 2005. Darin wurde sie aufgefordert für den Schutz der Gemeinden zu sorgen, die humanitären Zonen zu respektieren und Neuanpflanzungen zu stoppen. Die fehlende Reaktion aus Bogotá bedeutet für die Einwohner der Friedensgemeinden eine fortgesetzte Bedrohung ihrer Existenz. Umso wichtiger ist ihr andauernder Widerstand und die nationale und internationale Unterstützung und Berichterstattung. Insofern ist es besonders begrüßenswert, dass das Aachener Konsortium einen kleinen Beitrag dazu leistet, auf die Missstände in Kolumbien aufmerksam zu machen und die mutige Arbeit einer pazifistischen Insel im Meer der Gewalt zu honorieren.

Link zum Original-Artikel: http://www.imi-online.de/2007.php3?id=1605
Diese Analyse finden Sie im AUSDRUCK-Layout als pdf hier: http://www.imi-online.de/download/SN-Aug07-Kolumbien.pdf

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1. http://www.aachener-friedenspreis.de

2. Schätzungen gehen bei der 1964 gegründeten FARC von 18.000 Kämpfern aus, bei der ELN um die 5.000

3. siehe amnesty international (a.i.): Länderkurzbericht Kolumbien, 01.06.2007

4. Schmidt-Häuer, Christian: Das eiserne Herz des Präsidenten, Die Zeit 26/2007. Die Zahlen schwanken dabei zwischen offiziellen Angaben des Staates von 1,8 Millionen Vertriebenen und denjenigen von unabhängigen NGOs wie CODHES, die von 3,5 Millionen Binnenflüchtlingen ausgehen. Allein 2005 wurden letzterer Quelle zufolge 300.000 Menschen erneut vertrieben (http://www.internal-displacement.org)

5. 2006 wurden in Kolumbien allein mehr als 70 Gewerkschafter getötet. (s. Länderbericht a.i.)

6. Kolumbien ist eines der wenigen Länder, in dem kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung existiert.

7. Dregger, Leila: 168 Särge für den Staatsanwalt, Freitag 20/2007

8. Die Hoffnung hinter der Angst – Friedensgemeinden in Kolumbien, S.4. Broschüre von Kolko.e.V. 2007

9. http://www.pbi-deutschland.de, http://www.forcolombia.org/

10. Die Hoffnung hinter der Angst 2007, S. 15.

11. Ebenda, S. 20.

12. https://www.kolko.net/aktionen.php?art_id=1120

13. pbi Rundbrief 01/06, S.14.

14. Dies ergab eine Untersuchung des staatlichen Instituts für ländliche Entwicklung (Incoder) im Jahr 2004.

15. „Zwischen 97% und 99% der Verbrechen gegen die Menschlichkeit werden nicht aufgeklärt“, so Gustavo Gallón Giraldo, Direktor der kolumbianischen Juristenkommission.

16. Allerdings setzt auch die Vorgabe der EU, dass bis zum Jahr 2010 bereits 5,75% zum Gesamtkraftstoffkonsum durch Biodiesel beitragen sollen, einen finanziellen Anreiz für den weiteren Ausbau von Palmölplantagen.

17. 2000 stimmte der US-Kongress einem Hilfspaket von 1,139 Mrd. US$ für Kolumbien zu. Der größte Teil (70-80%) des Geldes floss in militärische Ausbildung und Ausrüstung, was die Gewaltspirale verstärkte, aber kaum Einfluss auf die Drogenproduktion zeigte. Aus einer Anfrage an die Europäische Kommission geht vielmehr hervor, dass der Drogenhandel größer ist als vor der Implementierung des Plan Colombia. Mündliche Anfrage von Jens Holm H-0128/07 Der Entwicklungsplan Plan Colombia Fase II (2008-2013) setzt seinen Fokus nun mit über zwei Dritteln auf soziale Entwicklung.

18. Nobelpreisträger: Einsatz von Biosprit „extrem negativ“, 06.07.2007, abrufbar unter: http://www.bbv-net.de/public/article/aktuelles/wirtschaft/455837 Einen guten Überblick über die Auswirkungen von Biokraftstoffen und die 5 geläufigsten Mythen sind in der Le Monde Diplomatique vom Juni 2007 zu finden.

19. Die Hoffnung hinter der Angst – Friedensgemeinden in Kolumbien, S.11. Broschüre von Kolko.e.V.